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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Bibliothek, den Läden mit frisch beschriebenen, interessanten Papyrosrollen, den Läden mit zu beschreibenden Rollen. In dieser freien Stadt, dieser protzenden Polis hat nichts ein Gesicht; kaum ein Gebäude ist älter als hundert Jahre; nur in Rhakotis und am Ende des Kanals, in Kanopos, ist das zu finden, was Gesichter und Städte anziehend macht: faßbare, fühlbare, geronnene Zeit. Aber die schwärzliche Stimmung der alten ägyptischen Tempel und der verfallenden Hafenanlagen wird überspült von der kreischenden Flut der Vergnügungsfahrer auf dem Kanal, die jeden Tag in zahllosen Booten dorthin ziehen, um die Schänken und Mädchen, die Spielhäuser und Knabengehege, Zwerge, Gaukler, Schlangen, Wahrsager und Messerstecher zu besuchen. Alexandreia, insgesamt, ist ein eben noch erträglicher Wartezustand, eine wimmelnde lärmende Mole, auf der ein Greis Charon erwarten mag.
    Qart Hadasht dagegen, das unselige Karchedon – es mag sein, daß der graue Katarakt des Beschönigens das rückblikkende Auge eines alten Mannes trübt, aber Karchedon war anders und ist es noch immer, wie punische Händler versichern. Die sanften Hügel der Megara, die bewässerten Gärten, weiße üppige Paläste wie Blitze in der Mittagssonne, die hellen Landhäuser mit ihren Zypressenhainen – Anmut und Strenge, die Gelassenheit von sechshundert Jahren – beherrschter und tiefer, weniger vorlaut und vornehmer als das protzende Eleusis. Kein Hafen zwischen Britannien und der Gangesmündung hat je so gerochen wie der große Kothon von Karchedon am Ende eines heißen windstillen Tages; nirgendwo war die Schneide des Lebens so scharf wie in den hitzigen stinkenden Gassen zwischen den Häuserblocks (denn das Sein mag den Seienden kitzeln oder ihm in den Gedärmen herumgedreht werden: Immer ist das Sein ein Messer; wenn Parmenides dies begriffen hätte, wäre ihm und uns viel schroffes Geschwätz erspart geblieben); nie war ich den erfundenen Göttern näher als an einem gewissen frostigen Morgen nach durchwachter Nacht unter den heiligen Bäumen des Eshmun-Tempels, hoch auf der Byrsa. Hier, in Alexandreia, darf ich als Hellene an Stadtteilversammlungen teilnehmen; in Qart Hadasht war ich wie mein Vater und mein Großvater geduldeter Gast, Metöke; aber wenn ich träume, dann auf Punisch.
    So viele Tausende sind in den vergangenen achtzig Jahren für und gegen Qart Hadasht gestorben; mein letzter Wunsch wäre ein Tod in Karchedon. Dieser Wunsch ist unerfüllbar, seit vor über vierzehn Jahren, auf Betreiben der Fettsteiße des Rats, Hannibal an die Römer ausgeliefert werden sollte, fliehen mußte, sein Haus – das Haus Hamilkars, der Palast der Barkiden – dem Erdboden gleichgemacht wurde; man enteignete die Familie, teilte die alten weiten fruchtbaren Ländereien in der Byssatis auf und jagte alle engen Freunde Hannibals aus der Stadt und dem Land. Seitdem mag ich nicht mehr in Karchedon leben (selbst wenn man mich wieder dort einließe), aber ich stürbe lieber gar nicht als anderswo. Ich fürchte, es gibt da Unvermeidliches.
    Mein Urgroßvater war der jüngste Sohn eines sikeliotischen Händlers. Bei vier älteren Brüdern gab es für ihn in Leontinoi keine guten Aussichten; nach längeren Fahrten und mehreren Fehlschlägen an anderen Orten ließ er sich in Karchedon nieder, ohne die Verbindung zu den Brüdern abreißen zu lassen. Dank guter Beziehungen und der auf Reisen erworbenen Kenntnisse brachte er es schnell zu unbescheidenem Wohlstand. Natürlich war auch einem reichen Metöken die Megara versperrt, aber er konnte ein hübsches Landgut an der Küste erwerben, etwa auf halbem Weg von Qart Hadasht nach Ityke. Es lag abseits aller Verbindungsstraßen; daher wurde es weder von Agathokles noch von den Söldnern nach dem ersten Römischen Krieg heimgesucht. Scipio ließ es vorübergehend besetzen, ohne es zu verwüsten; bei dieser Gelegenheit lernte ich ihn kennen.
    Es gab zwei Söhne. Mein Großvater, der ältere, übernahm das Handelsgeschäft und baute die Verbindungen zu den verschiedenen hellenischen Städten weiter aus: Leontinoi, Syrakosai, Korinthos, Athen; selbst am Euxeinischen Gestade und in Kolchis gab es halbverwandte Partner und Freunde. Der jüngere Sohn ging nach Massalia, wo er eine Nichte des Gelehrten und Reisenden Pytheas zur Frau nahm und uns den Gallien-Handel erschloß.
    Mein Großvater, Kleomenes, baute nicht nur die Fernhandelsverbindungen inner und außerhalb der Sippe aus; er begann auch die Ausdehnung in

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