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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Bucht auf die Felsen bei Kap Kamart geklettert, gleich unterhalb der Seemauer. Der schwarzhäutige Posten, vier Mannslängen über uns, verstand kaum Punisch und beantwortete unser freundliches Gespöttel mit einem Grinsen und dem Versuch, uns zu bespucken.
    Nun sank links von uns die Sonne. Am fernen Ostufer der Bucht färbten sich die Berge rot, das Wasser glitzerte wie Kupfer, die Fischerboote wurden schwarz, und das Kriegsschiff kroch wie ein wundes Insekt übers Wasser. Es mußte bald Kap Qart Hadasht passieren; dann würde es hinter dem höchsten Teil der Seemauer außer Sicht geraten. Ich konnte mich nicht von dem Anblick losreißen; irgend etwas zog und zerrte in meiner Brust. Heute weiß ich, daß es Fernweh war, und das Meer.
     
    Immer wenn ich nach diesem Traum erwache, ist das Ziehen und Zerren da. Noch heute – auch siebenundachtzig Jahre haben diesen Durst nicht gelöscht. So viele Länder habe ich bereist, ihre Weine getrunken, ihren Liedern und Geschichten gelauscht, mit ihren Waren gehandelt und bei ihren Frauen gelegen. Es war gut, und es ist genug. Aber das Meer… sanfter Wind, der über laues Salzwasser streicht, erfüllt mit dem Ruch wuchernden Verfallens und Beginnens – Treibholz, angespülte Algen, alter Tang, faulender Fisch, Pech, Segeltuch. Wo immer ich dies roch, an der Küste des fernen Taprobane oder am Gestade des Erdteils weit jenseits der Säulen des Melqart, immer folgte mir dieser Geruch in den Schlaf und lockte den Traum hervor. Seltsam und fast göttlich, diese Macht, die das Riechen über unsere Seele hat. Aber kein mir bekanntes Volk hat je die Nase geheiligt.
    Ich hatte immer zuviel Wichtigeres zu tun und nie die Muße oder Lust, den geheimen Kern des wiederkehrenden Traums vom Nachmittag am Kap Kamart zu erforschen, mich dem Rätsel des Inneren zu ergeben. Hierin gleicht es dem Knoten von Gordion, daß es unlösbar ist und durch einen äußeren Schwerthieb nur ausgelöscht werden kann. Dennoch glaube ich, einen wesentlichen Teil des Traums zu erkennen. Heute, unter den Legionen und dem Senat, gibt es nur zweierlei Menschen: römische Herren und nichtrömische Knechte. In jenem Traum waren wir verschieden und gleich – der schwarze Posten, der Jude, die beiden Punier und ich, Sohn eines hellenischen Metöken.
    Und es war der letzte Tag des vertrauten Lebens. Auf dem Heimweg, die abknickende Seemauer entlang nach Süden zur großen Isthmos-Mauer, bemerkten wir Veränderungen. Zwischen dem frühen Nachmittag und dem Sonnenuntergang mußten neue Nachrichten vom großen Sizilischen Krieg (später nannten »wir« Punier ihn den Ersten Römischen Krieg) angekommen und neue Befehle des Rats ergangen sein. Der gewaltige Graben, hier und da eingebrochen und teilweise ganz vollgelaufen, wurde ausgebessert; Sklaven, Kriegsgefangene und einige Krieger schaufelten, und an den besonders schlechten Stellen rissen Ochsengespanne mit Pflügen den Boden des Grabens auf. Krieger und Handwerker versenkten Pflöcke im steilen Wall hinter dem Graben – Pflöcke mit Bronzespitzen. Es wurde gehämmert, gekratzt und gekreischt; die Leute quirlten durcheinander wie Ameisen. Von irgendwo kam der Gestank erhitzten Pechs. An einer engen Stelle hatten sich zwei Karren verkeilt, der eine leer, der andere turmhoch mit Steinen beladen. Pferde stiegen wiehernd auf die Hinterbeine.
    Ein Bautrupp des Heers – nackte Männer mit einem Offizier , der Helm und Befehlsstab trug; dazu ein paar Baumeister – machte sich an der großen Steinbrücke vor dem Tynes-Tor zu schaffen, als wollten sie sie abreißen. Ein Trupp Zimmerleute arbeitete auf der freigeräumten Marktfläche an einer Holzbrücke.
    »Das sieht aus, als ob eine Belagerung…« Bostar wich fünf kräftigen libyschen Fußkämpfern aus, die mit einem riesigen Balken aus dem Tor kamen.
    Im Gedränge verloren wir Daniel, der nicht in die Stadt zu gehen brauchte. Ich kletterte auf das Geländer und blickte zurück. Das große Marktgelände brodelte. In Brückennähe die Soldaten, Zimmerleute und Baumeister, dazu zahllose Pferdekarren, Ochsenkarren und Karren, die von Sklaven geschoben wurden; dahinter die Marktbauern und Händler, die ihre Stände abbrachen und das Durcheinander färbten und vermehrten; die flachen Dächer der Vorstädte, die dunstigen heißen Ebenen und darüber, für mich von einer fernen Zypresse halbiert, der dunkle Feuerball des Sonnenuntergangs, wie ein großes böses Auge.
    Der Torbogen unter der gewaltigen Hauptmauer dröhnte

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