Hanibal
Reisen, sogar wechselndes Wohnen, ein halbes Jahr Qart Hadasht, ein halbes Jahr Südlibyen. Aber so – warum warum warum. Das Herz hämmerte in seinen Schläfen, während er Hasdrubal zusah, der die andere Rolle überflog.
»Die Tatsachen«, sagte der Punier. Er blickte seinen alten Freund nicht an; die Stimme war kühl und geschäftlich. »Sie haben Gadir mit der Küste des Hellen Goldes verlassen. Von den Glücklichen Inseln fuhren sie mit einem kleineren Frachter weiter nach Süden, bis Qart Hanno an der Mündung des Gher.
›Die Frau‹, so heißt es hier, ›war krank, eine Krankheit des Gemüts. Sie verriet keinem, woher sie kam. In wachen Momenten suchte sie nach fernen Verwandten und fand einen alten schwarzen Händler und Karawanenmann, den sie Onkel nannte. Ehe die Karawane aufbrechen konnte, starb sie. Der Junge ritt mit dem alten Händler ins Innere Libyens.‹ Ein anderer Bericht, etwa ein Jahr später, spricht von Verhandlungen zwischen einem Waldfürsten und einer ptolemaischen Gesandtschaft. Der Fürst, heißt es, war bisher ohne leiblichen Erben gewesen und hat einen Jungen mit dem seltsamen Namen Ariston angenommen, den er als Sohn seiner lange verschollenen Tochter bezeichnet.«
Antigonos schwieg. Hasdrubal rollte den Papyros zusammen.
»Daran hat sich nichts geändert. Der Fürst im Wald und sein angenommener Sohn leben.« Er legte die Rolle ins Regal; dann kam er zu Antigonos und legte ihm beide Hände auf die Schultern.
»Sie ist an gebrochenem Herzen gestorben, Freund. Du und sie, ihr wart eins; ihr habt das höchste Glück genossen und dafür den höchsten Preis gezahlt. Es war ein Heimwehtaumel, Tiggo – ein Rausch, der den Verstand ausschaltet. Reiß dich zusammen, Metöke.« Er bohrte die kräftigen Finger in Antigonos’ Schultern. Dann ließ er ihn los und ging zu seinem Stuhl zurück.
»Noch zwei Dinge«, sagte er, als er sich setzte. »Tsuniros Vermögen – wenn du mehr darüber wissen willst, wende dich an Rab Baalyaton.«
»Den Hohen Priester des Reshef-Tempels?« Seine eigene Stimme klang fremd und heiser; Antigonos hörte sich aus der Ferne durch einen rauschenden Schleier sprechen.
»Ja. Du hast wahrscheinlich alle Banken und Karawanenherren befragt – aber Baalyaton ist nicht so abwegig. Ein zuverlässiger Mann; der Tempel bezieht Rauschkraut, Würzholz und Elfenbein aus dem Süden.«
»Ja.«
Hasdrubal räusperte sich. »Ariston… Sollen wir ihn entführen?«
Antigonos tastete sich zu seinem Sitz, ließ sich hineinfallen und umklammerte mit beiden Händen den Weinbecher. Er bemerkte kaum, daß Hasdrubal ihn auffüllte, ohne Wasser.
»Nein. Er war doch so klein… Er wird mich längst vergessen haben. Mit welchem Recht kann ich ihn aus seiner neuen Welt reißen?«
Seine Augen brannten. Er preßte die Lider zusammen und trank. Er hörte Hasdrubal mit Papyros hantieren, hörte das Schreibried kratzen. Irgendwo draußen krächzte ein Vogel, übertönte für einen Moment das Gebrüll des Ausbilders. Pferdehufe trappelten über den Platz; ein Tier wieherte. Das Summen der Fliegen und Mücken wurde unerträglich laut. Dann knackte der Stuhl unter ihm und riß ihn aus der Erstarrung.
»Wie lange reitet man, um zu Hamilkar zu kommen?« Er öffnete die Augen und stellte den leeren Becher ab.
Hasdrubal legte das Schreibried an die Nase. »Zehn, zwölf Tage. Wann willst du reisen?«
»Bald. Morgen. Ist der Weg gefährlich?«
Hasdrubal legte den Halm auf den Tisch und stützte das Kinn auf die Hände. »Zum Teil. Du solltest… ah, was soll’s? Ich komme mit. Es gibt sowieso ein paar Dinge zu besprechen, und hier ist alles so hoffnungslos verwickelt, daß es sich ruhig einen Mond ohne mich weiter verwirren mag.«
Antigonos stand auf und bemühte sich um ein Lächeln. »Ich nehme an, die wichtigsten Kundschafter berichten nur dir und Hamilkar – nicht deinen punischen Schreibern, stimmt’s?« Hasdrubal bleckte die Zähne. »Wir wollen doch nicht, daß Hanno der Große schlecht schläft, weil er zuviel erfährt – etwa , daß wir Abschriften seiner Briefe an römische Händler und Senatoren haben. Oder was genau in den einzelnen Teilen Iberiens geschieht. Du hast recht, mein Freund. Genau darum geht es. Es sind ein paar Dinge aufgelaufen, die ich mit Hamilkar besprechen muß. Und zwar bald.«
»Wann?«
Hasdrubal klackte mit der Zunge. »Übermorgen früh können wir aufbrechen. Was wirst du bis dahin tun? Du bist natürlich mein Gast.«
Antigonos zögerte. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher