Hanibal
leisten müssen, waren nach den Verträgen ihm gegenüber nicht dazu verpflichtet – Capua hatte die Tore geöffnet, als Hannibal die Wahrung der alten Stadtverfassung, innere Autonomie und Freiheit von Zwangsleistungen versprach. Die Punier konnten Freiwillige werben, in Capua und anderswo, aber dazu brauchten sie Geld. Die Offiziere rechneten immer wieder, mit jedesmal anderen Ergebnissen, aber alle Zahlen wurden schließlich zu groß – um die bisher errungenen Gewinne an Land, Städten, Häfen, Verbündeten zu schützen, brauchte man mindestens noch einmal fünfundzwanzigtausend Mann. Geld, um sie zu besolden. Noch mehr Geld, um Italier anzuwerben. Oder sehr viel Geld, um nur Italier und vielleicht ein paar Hellenen anzuwerben, wenn keine neuen Truppen aus Qart Hadasht geschickt wurden.
»Kämpfer, Pferde, Münzen, Schiffe«, murmelte Hannibal.
»Vor allem Schiffe. Wenn es doch zu einem Vertrag mit Philippos kommt – Makedonien hat keine Flotte. Wie sollen seine Truppen nach Italien gebracht werden? Wie soll Syrakosai geschützt werden, wenn Hieron stirbt und sein Enkel wirklich zu uns übergeht? Sardonien? Schiffe. Münzen. Warfen. Kämpfer.«
Vor dem Haus kam ein Reiter an. Oder mehrere. Ein Posten erschien in der Tür. Hannibal stand auf, warf sich den Chiton über, lächelte Pacuvia zu und ging hinaus.
»Braten, Hellene?«
»Herrin des Hauses – Göttin der Gastfreundschaft – ja!«
Sie nickte und verließ den Raum durch einen anderen Ausgang. Antigonos leerte seinen Becher und schloß die Augen. Er dachte an seine Zweifel. Dann an die Wunder, die Hannibal bisher gewirkt hatte. Der Alpenübergang war unmöglich gewesen, ebenso der Sieg der erschöpften Truppen gegen Cornelius und Sempronius; unmöglich der Marsch durch die Sümpfe, noch unmöglicher danach der Sieg gegen das starke Heer des Flaminius. Nicht zu reden von Cannae. Vollends unmöglich ein Aufbrechen der festgefügten römischen Bündnisse – und nun war fast ganz Süditalien punisch. Wieder wog Antigonos seine Zweifel gegen den offenbar unbegrenzten Einfallsreichtum Hannibals ab. Der Stratege war gewichtiger. Rom war niemals so erschüttert worden – war dieser große Krieg am Schluß doch noch zu gewinnen, trotz der Ratsherren von Qart Hadasht?
Schwere Schritte. Antigonos öffnete die Augen. Hannibal war wieder im Raum, kam langsam, sehr langsam zu ihm. Die Augen des Strategen schienen wie von einem dünnen Schleier verhangen.
»Was ist los?« Antigonos sprang auf, erinnerte sich daran, daß Hannibal die schwarzen Scherze schätzte, hüstelte. »Du siehst aus wie… als ob dir gerade ein Bote den Untergang des ewigen Qart Hadasht gemeldet hätte.«
»Schlimmer, Tiggo.« Hannibals Stimme war kaum zu verstehen. Er streckte die Arme aus. »Ein sehr lieber alter Freund… einer der ältesten. Halt mich.«
Antigonos legte die Arme um den Strategen, verblüfft und entsetzt. »Junge, wer…?«
»Ein unersetzlicher Verlust, Tiggo.« Hannibal murmelte nur; er hielt Antigonos eng an sich gepreßt.
Der Hellene hatte einen Moment das seltsame Gefühl, nicht er halte Hannibal, sondern der Stratege halte ihn.
»O Tiggo«, sagte Hannibal leise. »Eine Lanze. Es ist schnell gegangen. Ein römischer Hinterhalt; an der Straße.«
Antigonos fühlte sich von den starken Muskeln des Puniers gehalten, gestützt. Und so gedreht, daß er zur Tür blicken mußte, über Hannibals Schulter hinweg. Vier Numider – einer hatte eine Narbe auf der Wange; wieso war das wichtig? – trugen einen Leichnam herein, legten ihn auf den Tisch. Eine Handbreit des abgebrochenen Schafts war zu sehen; die Spitze der Lanze steckte noch in Memnons Brust.
HANNIBAL SOHN DES HAMILKAR BARKAS, STRATEGE, VOR NOLA , KAMPANIEN, AN ANTIGONOS SOHN DES ARISTEIDES, HERR DER SANDBANK, QART HADASHT IN LIBYEN
Grüße, Heil, Mut, Gesundheit, Freundschaft – o Tiggo: Wie du siehst, ist das Problem Nola noch immer nicht gelöst; Marcus Claudius Marcellus besitzt Festung und Straße und hat uns sogar eine kleine Niederlage zugefügt. Die erste, und es ist gut, daß es eine kleine war; aber irgendwann mußte die erste Niederlage sich ereignen. Bitter daran ist die Zahl der Verluste. Du weißt, daß jeder Mann zehnfach zählt, wenn der Nachschub ausbleibt. Allerdings weiß ich sehr wohl, wem ich die Reiter zu danken habe; viertausendfachen Dank, Freund.
Die Vorschläge, die du im Winter machtest und die wir damals für die Zukunft aufbewahrten, müssen nun wohl ausgeführt werden.
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