Hanibal
verändert man sich nicht mehr so sehr.«
Bonqart schnitt eine Grimasse und folgte mit dem Zeigefinger den Kerben um seinen Mund und neben der Nase, den Furchen auf der Stirn. »Ich war vierundzwanzig, als wir den Iberos überschritten haben. Jetzt jetzt bin ich mindestens siebzig.«
»Bemerkenswerte Rechenkünste.« Sosylos gluckste und fuhr sich durch das graue Haar. »Vierundzwanzig und tausend ergeben siebzig.«
Geräuschlos, fast schwebend erschien Melite. Im Haus war es kühler; die schlanke Frau trug einen Wollumhang über dem chitonartigen Rock. Hannibal schien ihr unhörbares Kommen gespürt zu haben, öffnete das Auge und lächelte zu ihr empor.
»Fürst meines Herzens«, sagte sie. »Ein Bote sucht dich.
Ruhst du oder…?«
»Ruht er neuerdings gelegentlich?«
Hannibal warf dem Hellenen einen spöttischen Blick zu.
»Onkel Tiggo sorgt sich wieder um den Jungen. Lieb von dir. Ich bin gleich zurück.« Er stand auf, geschmeidig und schnell wie immer. Sein Haar war noch dunkel, ebenso der Bart. Er nahm Melites Hand und zog sie ins Haus.
»Ich glaube, ich weiß, was das für ein Bote ist.« Sosylos kniff ein Auge zu und schielte Antigonos an. »Er bringt ein Geschenk für dich.«
»Ein Geschenk für mich?«
»Hannibal hat danach geschickt, als du angekommen bist. Ich hatte es völlig vergessen, aber er denkt an alles.«
Nach wenigen Augenblicken kehrten Hannibal und Melite zurück. Der Punier trug einen länglichen Gegenstand, in eine Wolldecke gewickelt. Vor Antigonos blieb er stehen, grinste plötzlich, kniete nieder. Melite legte ihm die Hand auf den Kopf.
»Herr der Sandbank; Freund; o Tiggo. Wir pflegen tote Feinde ehrenvoll zu bestatten und die Gräber zu achten; die Römer halten es nicht so. Deshalb habe ich vor Beginn der großen Belagerung etwas aus einem Grab in Capua bergen lassen.«
Antigonos wickelte die Decke ab und hielt Memnons britannisches Schwert hoch. »Ich danke dir sehr«, sagte er kaum vernehmlich; er beugte sich vor und legte die Wange an die des Strategen.
Hannibal stand auf. »Es war in Kroton.« Er schob Melite einen Scherenstuhl hin und setzte sich wieder auf den Schemel an der Hauswand.
»Dann ist nur eines der sechs Schwerter verloren – bisher.«
»Welches?«
»Das von Bomilkar – Bostars Sohn, dein alter Freund. Sein Schwert, mein alter Dolch und das Schwert, das dein Vater mir gab, sind in Massalia.«
»Das von Ariston…?«
»Ist bei Ariston.« Antigonos berichtete kurz von seinem letzten Besuch im tiefen Süden.
Später sagte Hannibal wie beiläufig: »Das falsche Schwert ist hierhin unterwegs. Hasdrubal hat bei den Allobrogen sein Winterlager aufgeschlagen. Im Frühjahr wird er über die Alpen ziehen. Er hätte in Iberien bleiben sollen – wegen der Fürsten und der Stämme, die vielleicht noch auf ihn hören würden, Mago hätte kommen sollen – nicht über die Alpen, sondern hierher, übers Meer.«
»Du klingst besorgt.«
Hannibal kaute einen Moment auf der Unterlippe. »Nnnein – besorgt nicht. Alles ist gefährlich; vielleicht kommt Hasdrubal leichter über die Alpen als wir damals. Zu einer besseren Jahreszeit, und vielleicht hat er weniger Ärger mit den Bergmenschen. Aber…«
Die Kriegsschiffe der Punier waren überall und nirgends; um von einem Hafen in Südiberien das große Heer sicher nach Italien bringen zu können, hätten die zersplitterten Flotten zusammengefaßt werden müssen – achtundzwanzigtausend Fußkämpfer, siebentausend Reiter, dreißig Elefanten waren mit Hasdrubal losgezogen.
»Eine große Flotte, die nicht sofort wieder abgesegelt wäre.«
Hannibal nahm die Klappe von seinem toten Auge und rieb es. Der Anblick war nicht erfreulich. »Wir hätten ausreichende Besatzungen hier unten zurücklassen und an der kampanischen Küste vorrücken können, mit einem starken Heer und Seeunterstützung. Jetzt – jetzt wird alles viel schwieriger.«
Im Herbst, als die Nachrichten von Hasdrubals Zug Italien erreichten, hatte der Senat sofort alle Truppen aus Illyrien und Hellas abgezogen. Hasdrubal mochte Kelten und Ligurer anwerben – angeblich hatten seine Botschafter schon im Herbst achttausend Kämpfer in den oberitalischen Gebieten gesammelt – und mit einem nochmals verstärkten Heer nach Süden ziehen; Hannibal mußte in jedem Fall Besatzungstruppen zur Sicherung der süditalischen Gebiete zurücklassen. Statt eines sehr starken Heers zur Beendigung des Kriegs würden zwei schwächere Heere zu einem Treffpunkt ziehen.
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