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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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griff, wurde niedergehauen. Der centurio war klüger; er hielt still und überlebte.
    »Ich werde allmählich zu alt für diesen Unfug.« Antigonos rieb den Rücken an der bantinischen Eiche und zog den Mantel fester um sich. »Greise gehören ins Bett.« Seine Knochen schmerzten, aber abgesehen davon und von der Müdigkeit fühlte er sich prächtig.
    Die Nacht war kalt und klar; nach dem Dauerregen der letzten Tage blieb der Boden schwammig. Es war eine vorgeschobene Postenstellung, nordwestlich des eroberten Lagers; der Zugang zum Paß und die Via Appia ließen sich gut beobachten und notfalls sperren.
    Hannibal öffnete die Augen. »Ja, ja; mit Spielzeug und einem heißen Stein, gut umwickelt. Tiggo, es gibt Leute, die werden nie alt. Du gehörst dazu.«
    »Meine Knochen sind nicht deiner Meinung.«
    Der Stratege zog den Inhalt der Nase hoch. »Wenn du mit deinen Knochen redest… Selbst schuld.«
    Plötzlich schlief er, mit leichtem Atem und vollkommen entspannt. In seinen dunkelroten Mantel gewickelt lag er auf dem Boden, drei Schritte von Antigonos entfernt. Der Hellene blieb an die Eiche gelehnt sitzen, voll von einer wachen Müdigkeit. Müdigkeit und Anspannung; das Gemisch sickerte in vielseitigen, nicht immer vollständigen Denkbildern aus ihm heraus, schäumte zu eiligen unverknüpften Fasern und Fetzen auf. Die Müdigkeit wurde weicher, ohne Nachlassen der Spannung. Die klaren Sterne und der schlummernde Stratege, die niedergebrannten Feuer, in denen es zischte und knackte, die leisen Stimmen der Wachenden, Schritte von Posten, die das Lager umrundeten; ein paar Nachtvögel strichen über Feld und Büsche. Es roch nach feuchtem Leder, nassem Stoff, Asche und Glut, Pferdekot und Männerschweiß, nachhallenden Ruckechos von verkrustetem Blut auf scharfem Eisen. Ein kurzer, schwacher Nachtwind, der sich gleich wieder legte, brachte einen Schwall Knoblauch, Braten und Wein aus der Lagermitte. So ähnlich hatte es in zehntausend Nächten gerochen, in Gallien und Britannien, auf Schiffen, in der Wüste Libyens und am großen Fluß Ganga, außerhalb von Pa’alipotra, oder am Ufer des Nil. Im Norden mußte es nun sehr kalt sein; Antigonos entsann sich des Winters nach dem Alpenübergang, als sie oft morgens tote Elefanten zerhacken mußten, um sie fortschaffen zu können. Der Winter nach der Schlacht an der Trebia, vor dem Frühjahr in den etrurischen Sümpfen. Zehn Jahre eines erbarmungslosen Kriegs, in den sich nach und nach fast die ganze Oikumene verstrickt hatte. Zehn Jahre seither, elf Jahre insgesamt Blut, ausgelöschte Heere, versenkte Schiffe, zerstörte Städte. Publius Cornelius Scipio, besiegt am Ticinus, sieben Jahre später gefallen in Iberien, wie sein Bruder Gnaeus; Sempronius, besiegt an der Trebia; Flaminius, gefallen am Trasimenischen See; Aemilius Paullus, gestorben in der größten aller Schlachten, bei Cannae… Roms furchtbare Niederlagen, immer wieder und immer wieder, der Verlust des Nordens, die Abfallbewegung bei Etruskern und Latinern, der Verlust fast ganz Süditaliens, der Verlust von zwei Dritteln aller waffenfähigen Männer. Ohne die Kühnheit dieses Schlummernden, der drei Schritte von der Eiche entfernt lag, den dicken Schatten eines laublosen Asts auf dem Gesicht, ohne Hannibals Listen und Künste wäre das uralte Karchedon längst versunken. Zwei Jahre, vielleicht drei hätten die Punier hinter ihren mächtigen Mauern einer Belagerung trotzen können. Das unbesiegbare Rom, die eisernen Legionen, die Konsuln, Legaten, Tribunen, centuriones, immer wieder besiegt, aufgerieben, zertrümmert, von unterlegenen Kräften überlegen geschlagen. Die Kunst, der Geist, der Kopf dieses Mannes, den seine Kämpfer anbeteten und liebten, dem sie bedingungslos durch Feuer und Eis, Eisen und Blut folgten, weil er sie führte und voranging, der nur in einem Zelt schlief, wenn auch alle anderen Zelte hatten, der mit ihnen Wasser trank und aufgequollene Körner kaute, statt sich einer Feldherrenküche zu bedienen. In all den Jahren nur ein Verrat – Muttines auf Sizilien, aber es war kein Verrat an Hannibal, sondern die Verzweiflung eines großartigen Reiterführers über den stumpfen Punier, dem er sich dort unterstellen mußte. In all den Jahren nur einmal ein Abfallen von Truppen – die zweihundertzwölf Iberer und Numider, die nach dem üppigen Winterlager in Capua und dem Rückschlag bei Nola zu den Römern überliefen. Zu Marcus Claudius Marcellus, fünfmal Konsul, als erster römischer

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