Hanibal
sechs Stunden für die Arbeiten. Das römische Wachlager maß etwa siebzig mal siebzig Schritte. Es war von einem Graben umgeben, der Erdwall mit Palisaden verstärkt; zwei Tore, nach Nordwesten und nach Südosten. An jeder Lagerseite, hinter den Palisaden, standen mehrere Posten; in dieser Nacht konnten sie nicht viel sehen. Überdies hatte die Untätigkeit der Wintermonde sie offenbar sorglos werden lassen; aus den Berichten der Libyer mußte man diesen Schluß ziehen.
Im ersten fahlen Morgenlicht erschien Antigonos mit seinen fünfundzwanzig Mann vor dem südöstlichen Tor. Sie alle waren von Schlamm bedeckt, verdreckt, erschöpft. Antigonos rief die römischen Posten an.
»Wir von Hannibal weg«, schrie er. »Wichtig Neues. Schicken Mann heraus für melden.« Sein Latein war längst nahezu vollkommen, aber es machte ihm keine Schwierigkeiten, wie ein alter Sikeliot zu stammeln.
Das Tor öffnete sich halb. Ein nicht ganz bekleideter centurio kam im strömenden Regen heraus und musterte das verdreckte Häuflein. »Was ist los? Woher kommt ihr?«
»Metapontum. Hannibal aufbrechen in Lukanien, was ist Grumentum; hat Verräter in Lager.«
»In welchem Lager?«
»Flaccus.«
Offenbar überzeugte der Name den centurio noch mehr als das Aussehen der Männer. Vor wenigen Tagen erst war Quintus Flaccus ins Lager nach Grumentum gekommen, von Rom aus. »Verräter?«
»Vier Namen. Du centurio mein Schwert, bringen mich zu…
zu… zu Lagerherr.«
Der Römer betrachtete noch einmal die verdreckte Schar vermeintlicher Überläufer, schaute auf das Schwert, das Antigonos ihm samt der Scheide reichte, zuckte mit den Schultern und winkte ein paar Legionäre herbei.
»Nehmt ihnen die Waffen ab. Und mitkommen. Das soll der Tribun selbst hören.«
Antigonos und etwa zehn Libyer waren bereits im Lager, noch nicht entwaffnet. Der Hellene stieß einen Schrei aus, riß das Schwert aus der Scheide, setzte die Spitze an die Kehle des centurio. »Nicht bewegen – wenn du leben willst!«
Die Libyer stürzten sich auf die langsamen, unausgeschlafenen Römer; bestenfalls ein Viertel des Lagers war bereits wach. Die übrigen von Antigonos’ Begleitern drängten die wenigen ganz wachen Posten zurück, öffneten das Tor weit, verkeilten es. Ein Hörn schrillte.
Etwa hundert Schritte vor dem Lagertor stand dürres , struppiges Buschwerk, hinter dem sich niemand verbergen konnte. Andernfalls hätten die Römer es längst beseitigt. Es gab genug gutes Feuerholz in der Gegend; die winzigen stachligen Ranken waren nicht einmal zu diesem Zweck verwendbar.
In der Nacht hatten Hannibals Männer Reisig, Ballen von Gestrüpp, Zweige und Äste dorthin geschleppt. Im hellen Tageslicht mochte ein römischer Posten bemerken, daß alles dichter und ein wenig größer schien als am Vortag, aber in der Morgendämmerung, in Regen und dünnem Nebel würde niemand stutzen. Von diesem erweiterten Buschwerk aus hatten sich in den Nachtstunden die Männer, ohne Warfen und Rüstungen, wie die Maulwürfe durch den aufgeweichten Lehm zum Lager gewühlt. Als die ersten nahe am Tor angekommen waren, hatte man ihnen von hinten ihre Schwerter gereicht. In den Scheiden; alles war verdreckt und von Lehm überzogen , aber die Klingen blieben sauber.
Antigonos’ Schrei war das Zeichen. Das Buschwerk bebte , spaltete sich, zerbrach. Die Numider, mit je einem aufgesessenen Fußkämpfer hinter sich, galoppierten über das Lehmfeld, jagten durch das Tor, zersprengten die erste kleine Gruppe römischer Krieger, ritten bis zum anderen Tor, machten kehrt. Die Fußkämpfer sprangen ab, vor dem Zelt des Tribunen; einen Augenblick später – so schien es Antigonos – tauchte einer der Männer schon wieder aus dem Zelt auf. Er schwenkte eine Lanze; auf der Spitze steckte der Kopf des römischen Lagerherrn.
Die übrigen Fußkämpfer, die unter einer Schlammschicht in den selbstgegrabenen Furchen gelegen hatten, stürmten ins Lager, wie Erdgeister. Hannibal war der erste. Es kam zu einem kurzen, blutigen Gemenge. Die Hornsignale und die Schreie weckten den größten Teil des Lagers nun erst auf; mitten im Winter schliefen die Römer und ihre Bundesgenossen nicht mit den Waffen. Selbst von den schon vor dem Angriff Erwachten hatten nur wenige die Schwerter griffbereit. Der Kopf des Tribunen, in der Lagermitte auf einer schwankenden Lanze, war für die meisten das Zeichen zur Aufgabe. Die Bundesgenossen versuchten nicht erst, sich zu wehren; wer von den Römern zum Schwert
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