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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Und zwischen ihnen standen sechzehn Legionen, dazu römische Bundesgenossen.
    Für das Entsetzen des Senats gab es einen weiteren Grund.
    Einige Jahre vor Beginn des Kriegs war eine Volkszählung durchgeführt worden; damals hatte Rom zweihundertsiebzigtausend waffenfähige Bürger gehabt, die Bundesgenossen zusammen über vierhunderttausend. Nach zehneinhalb Jahren Krieg sowie acht Jahren der von den Römern betriebenen Verwüstung und Zerstörung des eigenen und bundesgenössischen Landes hatte eine neue Zählung nur noch einhundertsiebenunddreißigtausend waffenfähige römische Bürger ergeben; Latiner und Etrusker stellten kaum noch Truppen, ebenso Sabiner, Lukaner und Samniten. Die verfügbaren Mannschaften waren auf ein Drittel des früheren Bestands geschmolzen. Roms Herrschaft zerrüttet, Roms Mannschaft geschrumpft, Roms Landschaft verödet; der Staatsschatz leer. Nur die Legionen und der Wille des Senats hielten den Rest zusammen – einen Rest, den nicht einmal die treuesten Bundesgenossen noch unterstützen wollten. Ein schneller harter Schlag mit einem starken Heer unter Hannibals Führung, gesichert und gestützt auf eine vereinte Flotte…
    »Nicht träumen, Stratege«, sagte Antigonos halblaut. »Es kann sein, daß die Frucht niemals so greifbar war wie heute. Aber die Frucht kann nur im Wachen gepflückt werden. Was macht dein liebenswerter Bundesgenosse Philippos? Jetzt, da die Römer alles aus seinen Ländern abgezogen haben?«
    Hannibal schwieg; Melite sagte: »Was, o Antigonos, sollte er tun, und was tut er deiner Meinung nach?«
    Der Hellene hob die Schultern. »Er sollte Apollonia nehmen und nach Italien übersetzen. Aber er wird nichts tun.«
     
    Manchmal fiel es Antigonos schwer zu begreifen, daß der Mann, der seit mehr als zehn Jahren das Staunen der Welt war, im kommenden Sommer erst vierzig Jahre alt werden würde. In den Gesprächen anderer, in den Berichten und Gerüchten, die die Oikumene durchzogen und wahrscheinlich wie auslaufende Kräuselwellen über die Oikumene hinausschwappten, war er größer als Alexandros, Pyrrhos, Kyros, und ebenso weit entfernt wie Odysseus oder Achilleus. Er war aber auch der sehnige, nimmermüde, alles überblickende Mann, der ein paar Nächte mit Melite verbrachte und dann mit wenigen Begleitern von Lager zu Lager, von Ort zu Ort ritt, mit den Vorposten sprach, mit gätulischen Bogenschützen, libyschen Schwertkämpfern, iberischen Reitern, balliarischen Schleuderern, keltischen Lanzenträgern, spartanischen Hopliten, numidischen Streifen und lydischen Plänklern nächtelang an Feuern hockte.
    Antigonos ritt oft mit. In einer stürmischen Nacht gegen Ende des Winters lagerten sie weit am Oberlauf des Bradanus, wo unterhalb des Gebirgszugs, der das apulische Kernland um Venusia von den Ländern der lapygen, Messapier und Salentiner trennte, einige Stadien nordöstlich der Ortschaft Bantia die Römer ein vorgeschobenes Kastell unterhielten, lapyger und Messapier waren vor fünfzehn Jahren mit sechsundfünfzigtausend Kriegern verzeichnet worden und stellten heute vielleicht noch sieben – oder achttausend Mann für Rom. Das Kastell schützte die Via Appia und den Paß nach Venusia.
    Antigonos hatte sich vor Mitternacht in eine Decke gewickelt und zu schlafen versucht. Es gab keine Hütten, keine Zelte; Sturm und Regen löschten jedes Feuer. Der Hellene schlief noch nicht, als jemand seine Schulter berührte.
    »Wach auf, Tiggo.«
    Er setzte sich fröstelnd. »Was ist los?«
    Hannibal ging in die Hocke. »Wir werden das römische Wachlager nehmen. Im Winter rechnen sie nicht damit, und schon gar nicht bei diesem Wetter.« Aus dem Bart des Puniers troff der Regen.
    »Hast du genug Leute?«
    Hannibal lachte leise. »Es sind drei römische Manipel und ungefähr vierhundert lapyger, drüben. Keine achthundert Mann. Wir haben vierzig Numider und zweihundert Libyer.«
    Antigonos pfiff. »Wie du es sagst, klingt es wie eine furchtbare Übermacht deinerseits.«
    »Ist es auch. Machst du mit?«
    Antigonos rollte sich aus der Decke und legte die Hand auf den Knauf des Schwerts, das einmal Memnon gehört hatte.
    »Irgendwann muß auch ein alter Metöke sterben. Warum nicht in dieser Nacht?«
    Hannibal nickte. »Eine gute Nacht, Freund. Ich gebe dir fünfundzwanzig Libyer. Folgendes.«
    Antigonos lauschte; schließlich nickte er langsam. »Ich begreife, weshalb sie dich fürchten. Und weshalb du immer noch lebst, Junge. Wir sehen uns im Morgengrauen.«
    Es blieben

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