Hanibal
Bomilkar hielt den Kahn ruhig. Der Hellene starrte in den Schilfdschungel; dann legte er die Hände an den Mund und schrie: »Taaaniiit! Meeelqaaart!«
Bomilkar kicherte. »Daß ich das noch erleben durfte! Der finstere Leugner aller Götter, Antigonos Sohn des Aristeides, schreit nach Tanit und Melqart. Aber vielleicht hast du recht. Jedes römische Wachboot, das dich hört, kommt bestimmt her. Die werden uns helfen.«
Sie warteten; schließlich ließen sie den Kahn wieder treiben.
Ein Stück weiter flußab sahen sie, weit rechts, ein kleines Fischerboot im Dickicht; es mochte auch das Boot eines Schilfschnitters sein. Ein Mann saß darin, mit breitem Hut, Angel und Reusenschnur. Bomilkar lenkte den Kahn ins Schilf und rief den einsamen Angler an.
»He, Herr der Fische, wir haben uns verlaufen.«
Der Angler blickte unter der Krempe noch einen Moment aufs Wasser; dann schob er den Hut zurück. Es war Tomyris.
Noch immer, nach fast elf Kriegsjahren, gab es in Qart Hadasht keine Anzeichen von Mühsal, Müdigkeit oder knapper Versorgung. Antigonos zögerte einige Zeit, rang mit sich, ob er den offenen Kampf gegen Hanno aufnehmen sollte, aber Bostar riet ab. Hanno sei nur noch halb so wichtig; der Rat habe endlich beschlossen, Hasdrubal und Mago in Iberien halbwegs freie Hand zu geben.
Zu spät, und wahrlich nur halbwegs. Hasdrubal war mit seinem Heer nach Südwesten gezogen, verfolgt von Cornelius. Er wollte die Römer in das Gebiet locken, in dem Hasdrubal Giskon und Mago mit ihren Truppen eingreifen konnten, aber Publius Cornelius Scipio erwies sich erneut als gelehriger Schüler Hannibals. Bei Baikula, nördlich des Baits, etwa auf halber Strecke zwischen Kastulo und Karduba, kam es zur Schlacht. Durch den Abfall und Übertritt zahlreicher Ibererstämme verfügte der römische Befehlshaber zum ersten Mal über eine zahlenmäßig stärkere Truppe. Mit unerhörter Wucht griffen die Legionen und ihre iberischen Verbündeten aus dem Marsch heraus an – eine barkidische Bewegungsschlacht. Hasdrubal sah, daß der Kampf nicht zu gewinnen war; mit klugen Zügen gelang es ihm jedoch, fast das ganze Heer aus der Schlacht zu ziehen. Er marschierte nach Nordwesten, zu Mago – aber Cornelius setzte nicht nach.
Nördlich der Schwarzen Berge trafen sich die punischen Strategen und die Vertreter der Ältesten zur Beratung. Mago, Hasdrubal Barkas, der Massylerfürst Masinissa, Hasdrubal Giskon, ein weiterer neuer Unterstratege namens Hanno und die Gerusiasten Arish, Mished und Mastanabal stritten zwei Tage um den richtigen Weg. Hasdrubal und Mago sprachen für eine von zwei Möglichkeiten: Zusammenfassung aller Heere und der verstreuten Kampfschiffe zum vernichtenden Schlag gegen Cornelius in Iberien; oder Rückzug auf leicht zu haltende Stellungen im Süden und Übergang aller verfügbaren Truppen nach Italien, zur Hälfte über Land mit Hasdrubal Giskon, zur Hälfte über See mit Mago direkt zu Hannibal. Die Gerusiasten entschieden sich für eine untaugliche Mischung. Hasdrubal Barkas sollte mit seinem Heer über Pyrenäen und Alpen nach Norditalien ziehen und sich irgendwo mit Hannibal vereinigen; Hasdrubal Giskon sollte mit den übrigen Truppen – die immer noch zu einem Angriff ausgereicht hätten – den Süden sichern; Masinissa sollte mit dreitausend Reitern im Land umherstreifen, Bundesgenossen schützen und Gegner behelligen; Mago sollte in Nordlibyen und auf den Inseln der Balliaren neue Kämpfer werben – nicht etwa für Hannibal, sondern für Iberien, die Silbergruben, die Märkte.
Dieser Wirrnis im Westen standen Erfolge im Osten gegenüber. Philippos konnte sich, mit Hilfe der punischen Flotte, insgesamt gegen die Römer behaupten; nach einer verlorenen Schlacht schied Attalos von Pergamon zunächst einmal aus dem Krieg aus und kehrte nach Asien zurück, um sich – in Fortführung der besten hellenischen Übungen – eine Weile mit Prusias von Bithynien zu balgen. Antiochos und das gewaltige Heer des seleukidischen Reichs befanden sich auf dem großen Marsch nach Osten, um die von Alexandros eroberten Gebiete in Parthien und Baktrien wieder unter seine Herrschaft zu bringen. Rhodos baute im Windschatten der Ereignisse eine riesige Flotte und wurde zur größten Seemacht der östlichen Oikumene; zusammen mit Ptolemaios versuchten die Rhodier zwischen Makedonien und Rom zu vermitteln.
Antigonos gab wieder einmal den Versuch auf, Formen von Logik und Sinn in den Ereignissen und Beschlüssen zu finden.
Weitere Kostenlose Bücher