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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Krieger aus vielen Völkern, junge und ältere Frauen, Greisinnen und Greise, alle aßen, tranken, sangen, erzählten oder lauschten Geschichten. Bostar war umringt von einem Dutzend Kinder, denen er schäbige Lieder und witzige Spiele beibrachte. Daniel und Hannibal gingen von Gruppe zu Gruppe, von Feuer zu Feuer; ebenso Antigonos, der nach Marbil noch hundert andere altvertraute Männer wiedersah, mit ihnen und ihren Frauen sprach, Geschichten austauschte, Preisreden auf Hannibal anhörte, der seine Krieger zu unsterblichem Ruhm geführt und ihnen nach dem Krieg Brot und Arbeit gegeben hatte.
    Irgendwann fand er sich, einen von viel zu vielen Bechern mit Wein in der Hand, auf einem Strohballen sitzend, den Rücken an die Mauer gelehnt. Sie sangen und tanzten und lachten noch immer. Die Feuer, die Gefäße, die Gesichter im Widerschein der weißen Wände; weit jenseits das dunkle Wiegen der Gräser und Halme unter dem Nachtwind, unter den Sternen, auf den Hügeln am Horizont. Müde bedachte er seinen zerbrechlichen, alten, wundersam haltbaren Körper, ein Gefäß, in dem das Leben zur Neige ging; er schloß die Augen, trank und sog mit Mund und Nase die Nacht in sich auf. In den Dunst des Weins, das Harz der brennenden Hölzer, den Geruch der Ställe, der schwitzenden tanzenden Frauen und Männer, den kühlen Ruch der Mauern, Zypressen und Eichen, den leichten Modergeruch des Strohs mischte sich ein Hauch von bitterer Süße, Mandeln und Kinnamon, und ohne die Augen zu öffnen wußte er, daß Elissa zu ihm gekommen war.
    Er hob den Becher, die Augen noch immer geschlossen.
    »Herrin der Sterne. Fürstin der Farben der Nacht.«
    Ein leichtes Lachen. Wind, der Goldstaub auf ein Palmblatt weht. »Herr der Sandbank. Störe ich dich?«
    »Du labst mein Gemüt durch dein Kommen.«
    Die Strohballen bewegten sich; Elissa ließ sich nieder.
    »Welche Gedanken in dieser Nacht, Antigonos?«
    »Gedanken eines törichten alten Mannes, Elissa. Darüber, daß hier angenehm zu leben ist, und wie gut es wäre, hier zu sterben.«
    »Wegen der Männer, die hier sind, und der vielen, die fehlen?«
    Er öffnete die Augen, blinzelte. »Wegen der Dinge, die diese Nacht birgt. Gerüche, die an andere Gerüche erinnern und an die Orte, an denen ich sie roch. Feuer, die an andere Feuer erinnern. Feuer in Iberien, in den Alpen, in Eis und Schnee, im Regen eines italischen Winters, in der heißen Ebene von Cannae. All die Feuer, Elissa – und dies hier das erste, seit Friede ist.«
    »Auch für mich, Antigonos.«
    Lange Minuten später sagte er halblaut: »Was kann ich dir zu bewahren geben, Fürstin?«
    Sie begriff sofort und lachte; ein trauriges, fast tonloses Lachen. »Nichts von dem, was bewahrt zu werden sich lohnt , läßt sich bewahren. Was immer ich gern wüßte, wäre morgen schon ohne Bedeutung. Er ist immer im Wandel, immer unruhig, immer unterwegs. Du weißt es, Antigonos.«
    »Aber sein nächstes Ziel ist fest und unverrückbar. Qart Hadasht. Wenigstens ein Jahr lang wird er dort bleiben.«
    »Ein Dschungel. In Italien war er sicherer. Oder hier.« Sie seufzte, nippte an ihrem Becher. »Erzähl mir von dir – Tiggo.«
    Er hob die Schultern. »Was soll ich erzählen? Ich wurde als Sohn eines Metöken in Qart Hadasht geboren. Meine Väter waren Händler, ich bin es noch. Ich habe eine Bank aufgebaut, das Vermögen von Hamilkar Barkas und Hannibal verwaltet. Ich bin ein wenig gereist, bis nach Indien und Britannien. Ich habe den Ersten Römischen Krieg ein wenig, den Libyschen Krieg ganz, den Frieden teilweise, den Zweiten Römischen Krieg größtenteils gesehen. Nun bin ich alt, immer noch töricht, beneide Hannibal darum, daß er von dir geliebt wird , trinke zuviel und erträume mir einen ersprießlichen Tod.«
    Ihre Hand, warm und doch kühl, legte sich auf seinen Arm.
    »Wie er gesagt hat: Tiggo ist das Herz der Dinge und tut, als sei sein Pochen unwichtig.«
    »Sagt er das? Ha. Erzähl mir von dir, Gebieterin der Herzen.« Sie redeten von tausend Dingen; im Morgengrauen saßen sie noch immer an der Mauer. Elissa, Tochter eines Reeders, war im Jahr der Ermordung Hasdrubals des Schönen geboren und zwei Jahre nach dem Tod von Hasdrubal Barkas gegen ihren Willen mit einem Großneffen Hannos des Großen vermählt worden. Er stellte sich gegen seinen Großonkel, als die Stadt dem Untergang geweiht schien, und fiel als Unterführer der Reiterei in der Schlacht von Naraggara.
    »Friede«, sagte sie, als der Himmel blutrot wurde.

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