Hanibal
Licht.
»O Elissa«, sagte er leise, »verstehst du die Sprache der Tempel? Das alte Phönikisch, nicht zum Punischen abgeschliffen?«
Sie nickte; ihre großen Augen waren voller Fragen.
»Der gnadenloseste aller Punier, eine der finstersten Gestalten, die die Muse der Geschichte je ersonnen hat, Hanno, mit dem Beinamen der Große, hieß Khenu.«
»Der Gnädige – die, Gnade – ich weiß.« Begreifen glomm im Hintergrund ihrer Augen auf.
»Er war Hoher Priester des Baal – des gnadenlosesten aller erfundenen punischen Götter. Ich habe dafür gesorgt, daß im Tod Hanno und Baal zusammenfanden. Das ist der Name, den ich nicht in sein Fleisch, aber mit seinem Fleisch geschrieben habe.«
Langsam, staunend sagte sie: »Hanno, Baal – Khenu, Baal – Hannibal.«
»Gnade des Baal.«
Sie löste die Hände von seinen Wangen, ergriff seine Hände , preßte sie fast wütend zusammen. »Und wie… wie hast du es getan?«
Antigonos seufzte, schloß die Augen, erzählte von der Regennacht und dem tofet. Als er fertig war, öffnete er die Augen und blickte sie an.
Elissa warf den Kopf nach hinten, bis alle Sehnen ihres schlanken Halses hervortraten. Sie lachte, lachte gellend, schnappte nach Luft, lachte wieder. Dann beugte sie sich vor und küßte seine Hände.
In Qart Hadasht gab es eine weitere Todesfeier, die durchgestanden werden mußte und keinen Aufschub duldete. Salambua, Tochter von Hamilkar und Kshyqti, Witwe von Naravas, Schwester von Hannibal, Hasdrubal, Mago und der längst verstorbenen Sapanibal, der ersten Frau des schönen Hasdrubal, war dem Übermaß an Fett und der Stauung ihres Gemüts erlegen, des großen sanften Herzens, das unter der scharfen Zunge verschüttet kein Schlupfloch und keinen Gegenstand seiner Zuneigung mehr fand. Sie wurde in einer goldenen Amphore bestattet.
Bei der Volksversammlung für die Wahl der neuen Suffeten beschwor Hasdrubal der Bock die Vollbürger, auf keinen Fall Hannibal zu wählen. Er stellte ihnen die vom Rat gebilligten Bewerber vor, zwei Ratsherren aus den Reihen der »Alten«, die sich neuerdings abwechselnd Friedensfreunde und Freunde Roms nannten. Hannibal, der seinen alten Freund, Offizier, Untergebenen Bonqart zur Bewerbung überredet hatte, ebenfalls Ratsmitglied und Sproß einer alten reichen Sippe, hielt eine kurze, scharfe, tödliche Ansprache. Der Platz vor dem Ratsgebäude war überfüllt; die angekündigte Bewerbung des ehemaligen Strategen hatte mehr Wahlbürger auf die Agora gelockt als je eine andere Suffetenwahl.
»Hasdrubal, den wir den Bock nennen, weil er stinkt und eure Töchter schändet, so oft er kann – Hasdrubal, der im Rat weinte, als die erste Zahlung von zweihundert Talenten an Rom fällig war – Hasdrubal, der mich für leichtfertig erklärte und rücksichtslos gegenüber den Tränen anderer, weil ich über seine Tränen lachte – Hasdrubal, dem ich damals gesagt habe, er hätte weinen sollen, als mit unseren fünfhundert Kampfschiffen unsere Freiheit brannte – Hasdrubal der Bock, Römerfreund, der jeden Mond einen Bericht an den Senat in Rom schickt – Hasdrubal, der jahrelang nichts getan, unsere blutende Grenze gegen Masinissa zu sichern – Hasdrubal, der bald auch zum Pissen die führende Hand eines Römers brauchen wird – Hasdrubal der Bock, der aus eurem Schweiß Silber, aus euren Tränen Gold, aus eurem Blut Edelsteine für sich gemacht hat – Hasdrubal der Stinkige, dessen Leute seit Jahren die Stadt verrotten lassen, ins Elend stürzen, Räubern und Dieben übergeben, die sich nachts an euch bereichern wie Hasdrubal der Bock bei Tag – dieser Hasdrubal will euch, Bürger von Qart Hadasht, jetzt auch noch vorschreiben, wen ihr zu wählen habt!«
Er machte eine Pause. Seine tragende Stimme hatte jeden der Zehntausende auf dem Platz erreicht. Die Stille war dick, die Spannung reißend. Hasdrubal, nur wenige Schritte von Hannibal entfernt, verschränkte die Arme, löste sie wieder; sein Gesicht war von der Farbe eines bösen Sonnenuntergangs.
Hannibals Tonfall, bisher schneidend, wurde mild, fast traurig. »Es gab andere Männer, die den Namen Hasdrubal trugen. Wir brauchen gar nicht weit zurückzugehen in der Geschichte von Qart Hadasht – in einer ruhmreichen Geschichte, die von den klebrigen Fingern dieses Mannes hier besudelt wird. Hasdrubal der Stratege, der auf Sizilien gegen Timoleon kämpfte. Hasdrubal der Schöne, der zusammen mit Hamilkar dem Blitz den Libyschen Krieg beendete und Iberien eroberte,
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