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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Geschichten von Gilgamesh und Engiddu; eine vollständige Abschrift der Bücher der Sibylle, einschließlich jener, die die weise Frau vernichtet hatte, als die Römer den Preis nicht bezahlen wollten; die Sternbeobachtungen der Ägypter und Babylonier; die Schriften der hellenischen Strategen, Taktiker und Belagerungsmeister; Aristoteles, Platon, Euripides, Sophokles, Aischylos, Aristophanes und zahlreiche andere hellenische Schriftsteller; die Erinnerungen des Themistokles, geschrieben am persischen Königshof; die wirren und witzigen Lügengeschichten des Mutumbal, der vor vierhundert Jahren in Qart Hadasht gelebt hatte; der knappe und bisweilen gehässige Bericht – Antigonos hatte ihn mit Wonne gelesen, bei seinem ersten Aufenthalt – eines namenlosen lyrischen Kaufmanns über die tatsächlichen Begebenheiten bei Ilion; Tempelschriften; Handelslisten, Versicherungslisten, Ladelisten von Schiffen, die irgendwann einmal der Familie gehört hatten; der Bericht des punischen Seefahrers Arish über seine Reise von Ägypten zum Weihrauchland, nach Indien und Taprobane, zu den Inseln weit im Osten, auf denen es Tiger, Elefanten, Nashörner, seltsame Rieseneidechsen und feuerspeiende Berge gab, weiter nach China, dann zurück durch Wüsten und Steppen, über Berge und reißende Ströme, zum Euxeimschen Meer; die wild wehmütigen Liebeslieder einer namenlosen punischen Dichterin aus der Zeit kurz nach der Stadtgründung; die Händler und Kriegerepen von Bityas dem Itykaier, Gylimat aus Qart Hadasht, Mago dem Frevler, Boshmun dem Halbherzigen; die Verträge zwischen Qart Hadasht und Tarshish, die Verträge mit Etruskern, Sikelioten, Italioten, Athenern, Korinthern, Lakedaimoniern, Ägyptern, Persern, Arabern, Kuschiten, Massalioten, Römern, Makedonen, Gätuliern…
    Fast alle Räume waren mit tiefen Teppichen ausgelegt, geknüpft vor allem in Qart Hadasht, aber auch in Ägypten oder Indien; überall hingen bunte Wandbehänge neben alten Schwertern; aus allen Wänden ragten eiserne oder bronzene Arme und Fäuste, die Fackeln tragen konnten. Alle Räume, auch die des nach außen fensterlosen Erdgeschosses, waren hell und kühl; die weißen Wände nahmen das Licht des Innenhofs auf, Schächte und Durchbrüche sorgten für bewegte Luft. In den oberen Stockwerken waren die Fenster nach Süden mit Läden verschlossen; für alle Fenster des Hauses gab es bewegliche Holzrahmen, bespannt mit durchscheinender Schweinsblase.
    Die Gänge der beiden oberen Geschosse führten zu Galerien am Innenhof; Antigonos und Bostar stiegen die hölzernen Treppen hinab. An der Innenseite des Erdgeschosses trugen schlichte Säulen aus grünem Marmor die Ziegelbögen mit den Bohlen der Galerie. Blumen in tausend Farben und mit zehntausend Düften, in Kübeln und Beeten, erfüllten den Innenhof, in dessen Mitte ein Brunnen aus schwarzem Marmor stand. Daneben, auf einen niedrigen Tisch, hatte Daniel kalten Braten, Brot, säuerlich eingelegte Artischocken, gedünsteten Lauch, Honig, Früchte, Wein und Wasser auftragen lassen.
    Beim Essen redeten sie kaum von Dingen der letzten Jahre; wie alte Männer überall sprachen sie von der Jugend. Erst viel später kam Antigonos auf seine Frage zurück.
    »Was war das jetzt mit der Frau?«
    Daniel schloß die Augen. »Die schönste, klügste und mildeste Frau zwischen den Säulen des Melqart und den Vororten von Babylon.«
     
    Sie hieß Elissa und war mehr als alles, was Daniel gesagt hatte. Die Haut – Sahne und Nuß – schien ein wenig über den Backenknochen zu spannen, Haar und Augen bargen schwarzes Licht, das knielange weiße Gewand mit purpurnen Längsstreifen und goldener Hüftschärpe umriß ein Bildwerk der Aphrodite; aber Elissa war, was keine erdachte Göttin je sein wird, strahlend lebendig. Zähne zu beißen, Lippen zu lächeln, Lider zu blinzeln; sie sprühte Witz und Wärme, und als er sie sich bewegen sah, dachte Antigonos an ein seidenes Segel, gefüllt mit dem frischen milden Südwest eines Herbstmorgens, irgendwo zwischen den Inseln der Balkaren und Sardonien.
    Sie redeten bis tief in die Nacht hinein; zuerst im Hof, dann am Feuer in einem der großen Wohnräume des ersten Stocks.
    Es gab viel zu berichten, auszutauschen, zu vergleichen; und sehr viel Gelächter. Antigonos, seiner eigenen tiefen Stimme unbewußt, behielt ein Gemenge von Klängen und Gerüchen und Geräuschen im Gedächtnis, eine verflochtene Kostbarkeit aus Vielem. Elissa wie Narde, Mandeln, Kinnamon und glimmender

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