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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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wirklich jeden einzelnen Finger von Masinissa dreimal versengen, bis er genug hatte.«
    Fahles Rot kroch über den Himmel. Die von der Nacht verkapselten Düfte der Blumen befreiten sich, erfrischt und befeuchtet.
    Antigonos betrachtete den Punier. Durch die Schlieren in seinen müden alten Augen sah er die braunen Beine, auf den Knien die Hände mit den langen ruhigen Fingern, den weißen kurzen Chiton, den krausen schwarzen Bart, die Augenklappe, den schwarzen Schöpf. Und durch ein Zusammenspiel von Schlieren, Morgenfarben, Wein und Wünschen sah er wie einen durchsichtigen Mantel die energeia, die ungeheure Tatkraft und Macht, den umfassenden Willen des Einundfünfzigjährigen, der noch immer kaum Schlaf brauchte und nie ruhen würde.
    »Du hast mehrere kühne Anspielungen gemacht, was die Dinge angeht, die du tun willst.«
    Hannibal nickte. »Sie haben mich gezwungen, den Krieg zu verlieren«, sagte er ohne Bitterkeit. »Jetzt will ich sie zwingen, den Frieden zu gewinnen.«
    »Dazu brauchst du ein Amt, Freund.«
    »Das ist das Problem, Tiggo. Nach außen wie nach innen. Rom kann dem König der Numider verbieten, mit dem alten Strategen Hannibal zu reden; wenn Hannibal aber die Stadt vertritt, als Träger eines Amts, muß sogar Rom mit Hannibal reden. Wie Masinissa, wie Antiochos, wie der nächste Ptolemaios.«
    »Sie werden reden, sicherlich, aber nicht mit dem Vertreter der Stadt, sondern mit dem Träger eines ruhmreichen Namens, mit dem alten Strategen. Die Stadt ist zerrissen und ohne Bedeutung.«
    Hannibal reckte sich, verschränkte die Hände hinter dem Kopf, machte kreiselnde Bewegungen mit den Ellenbogen.
    »Fünf Monde, Tiggo – mehr brauche ich nicht, um die Stadt wieder groß zu machen.«
    Antigonos grinste. »Es war ein ersprießlicher Nachmittagsausflug, mit dir die Alpen zu überqueren. Qart Hadasht wieder groß zu machen ist schwieriger.«
    Hannibal schüttelte den Kopf. »Du irrst, Tiggo. Ich sagte doch: Ich war ziemlich viel unterwegs in den letzten Jahren. Ich weiß, wovon ich spreche, und ich weiß, was getan werden müßte.«
    »Du weißt auch, daß Rom jeden Gewaltstreich mit der Entsendung von Legionen beantworten wird.«
    »Ich weiß. Ich weiß auch, daß Legionen alles sind, was Rom hat. In Etrurien tobt ein Sklavenaufstand – im Krieg haben sie ihr eigenes Land so gründlich verwüstet, daß sie jetzt nur noch Sklaven haben, keine Bauern mehr. In den nächsten Jahren wird es überall Sklavenaufstände geben. Sie brauchen Geld und Getreide, Tiggo, ein starkes freundliches Qart Hadasht, keine mörderische Belagerung. Scipio weiß, wie stark die Mauern sind.«
    »Was willst du tun? Wie kann ich helfen?«
    Hannibal beugte sich vor, immer noch auf dem Tisch sitzend; er legte beide Hände auf Antigonos’ Schultern. »Liebster aller Freunde, du hast meinem Vater, meinem Schwager, meinen Brüdern, mir und der Stadt mehr geholfen, als jemals irgendeiner zurückzahlen kann.«
    »Ich frage nicht nach Rückzahlung, Junge.«
    »Ich weiß. Aber – nein, zur Zeit brauche ich keine Hilfe. Der ehemalige Stratege von Libyen, Iberien und Italien ist Mitglied des Rats von Qart Hadasht und kann sich um Ämter bewerben. Außerdem bin ich dank deiner, Bostars und Daniels Hilfe noch oder wieder ein wohlhabender Grundherr und kann alles, was bei der Vergabe von Ämtern bezahlt werden muß, mühelos selbst bezahlen.«
    »Welches Amt, Staunen der Welt?«
    Hannibal grinste kurz, wurde aber sofort wieder ernst. »In ein paar Monden werden die neuen Suffeten vom Volk gewählt.«
    Antigonos hielt einen Moment die Luft an. »Natürlich. Der Rat und die Hundertvier werden dir nichts geben, aber das Volk…«
    »Das Volk wird mir, hoffe ich, noch viel mehr geben, aber darüber muß ich länger nachdenken.«
    »Hannibal als Suffet.« Antigonos wiegte den Kopf. »Fürst des Friedens und höchster Richter von Qart Hadasht… Und dann?«
    »Ah, man wird sehen. Es hängt von zu vielen Dingen ab.«
     
    Auf dem freien Platz hinter den Ställen, Scheunen und Speichern loderten die Feuer. Am Abend des Tags der Sommersonnenwende bewirtete der Herr des Guts alle Arbeiter und Arbeiterinnen und die Angehörigen. Nackte Kinder wuselten zwischen den Gruppen umher; staunende halbwüchsige Jungen und Mädchen halfen, die Spieße zu drehen, die Brote zu verteilen, Wein auszuschenken und verdrückten sich später, begeistert und berauscht, miteinander in die Büsche und hinter die Gebäude. Pächter, freigelassene Sklaven, alte

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