Hannah, Mari
Haus, ein Kreuz. Plötzlich setzte er sich kerzengerade hin und starrte auf die Kritzeleien.
Ein Kreuz, ein verdammtes Kreuz.
»Hör mal, Ryan, ich muss aufhören«, suchte Gormley sich zu entwinden. »Nein, natürlich bist du wichtig für mich … das ist wirklich unfair, Sohn, du weißt das. Ich rufe dich zurück, versprochen. Nein … ich rufe dich wirklich an.«
Er legte auf.
Forsters Akte lag immer noch in seiner Schreibtischschublade, wo Daniels sie in der Nacht zuvor hineingeworfen hatte. Er nahm sie heraus, schlug sie auf und überflog die Tabelle auf der inneren Umschlagseite. Dann sah er sie noch einmal durch, nur um sicherzugehen.
Er griff zum Handy.
»Hast du meine SMS bekommen?« Gormley nahm Daniels Nicken zur Kenntnis. Er sprühte vor Erregung, als er ihre Aufmerksamkeit auf die Akte in seiner Hand lenkte. »Forster ist unser Mann!«
Er zog sie weg aus dem Morddezernat, wo einige Beamte, darunter ein paar richtig hohe Tiere, gerade von der Strategiesitzung kamen. ACC Martin ging an ihnen vorbei und machte ein düsteres Gesicht, weil Northumbria den Kommandostab in einem Fall bekommen hatte, dessen Ende nicht abzusehen war. Und der für Daniels den zentralen Wendepunkt ihrer Karriere bedeuten könnte, eine Situation, die sie genießen würde, wie er nur zu gut wusste. Seine feindseligen Blicke ignorierend, wandte sie ihre Aufmerksamkeit Gormley zu.
»Ich dachte, du hättest gesagt …«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber ich hab mich geirrt. Komm schon, wir haben zu tun.« Sie gingen schnell die Treppe hinunter und zu ihrem Büro. »Weißt du, wie das ist, wenn irgendwas dir keine Ruhe lässt und du nicht weißt, warum?« Gormley blieb stehen, als sie ihre Bürotür erreichten. Er schlug die Akte auf, blätterte darin und zeigte auf ein Foto von Jonathan Forster. »Nun, wenn er der ist, von dem ich vermute, dass er es ist, dann haben wir ihn schon im Wartezimmer vor Jos Büro gesehen. Ein Schlappschwanz. Sein Kumpel hat sich danebenbenommen. Am liebsten hätte ich ihm einen Tritt vor den Kopf verpasst, aber ich hab mich zurückgehalten.«
»Das war klug von dir.« Daniels hielt ihm die Tür auf, als er hineinging. »Bist du sicher, dass er es war?«
Gormley setzte sich. »Darauf wette ich mein letztes Hemd. Ich hab Jos Sekretärin angerufen, aber die dämliche Kuh konnte sich nicht mehr an ihn erinnern, was mich überrascht, wenn man bedenkt, dass der andere Typ da ganz scharf auf Ärger war.«
»Hat sie denn nicht ihre Unterlagen durchgesehen?«
»Doch, hat sie. Forster hatte definitiv an dem Tag einen Termin. Guck dir mal die an …« Gormley zog zwei sehr ähnliche Fotos hervor und gab sie Daniels. »Eins ist aus unserer Datenbank, das andere ist eine Kopie von der Klientenakte, die wir aus Jos Büro mitgenommen hatten. Auf beiden hat er Haare, stimmt’s?«
»Na und?«
Gormley griff nach Papier und Stift und begann zu zeichnen, während er weitersprach. »Er hat sein Äußeres verändert, Kate. Das ist es, was mich durcheinandergebracht hat. Als ich ihn gesehen habe, hatte er einen rasierten Schädel und ein eintätowiertes Kruzifix über dem Haaransatz. Ungefähr so.«
Er zeigte ihr seine Zeichnung.
»Davon steht nichts in seiner Akte«, sagte Daniels.
»Genau darauf will ich doch hinaus! Guck dir das mal an …« Gormley holte noch ein Blatt Papier hervor. »Das ist eine Kopie der inneren Umschlagseite von Forsters Gefängnisakte. Hier ist die gesamte äußere Erscheinung beschrieben, einschließlich der unveränderlichen Kennzeichen. Aber wenn dieses Tattoo noch von Haar verdeckt war, weil er sich erst später den Schädel rasiert hat, dann ist es vielleicht nicht bemerkt worden.«
»Und deshalb auch nicht dokumentiert.«
Gormley grinste. »Ganz genau.«
»Die meisten Lebenslänglichen haben Tattoos. Sie ahmen einander nach, weil sie keine eigene Fantasie haben. Kreuze sind verbreitet. Ein religiöser Symbolismus, aber allein reicht das noch nicht.«
»Dann müssen wir einfach was finden, das reicht.«
Sie teilten die Akte in zwei Hälften und arbeiteten bis spät in die Nacht, während der große Zeiger der Uhr sich langsam und quälend wieder und wieder um das Ziffernblatt herumarbeitete. Daniels seufzte laut. Sie hatte keine Lust mehr zu lesen und setzte sich gerade hin, ließ ihre müden Augen über den Wust auf ihrem Tisch schweifen: leere Sandwichpackungen, zerdrückte Kaffeebecher und verschiedene Kartoffelchipstüten – alles Cheese & Onion. Gormley blickte
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