Hannahs Entscheidung
sich träge ein Ventilator.
Ein einsamer Gast in kariertem Holzfällerhemd und dunkelgrüner Arbeitslatzhose, der an einem der runden Kiefernholztische vor einer Karaffe Eistee saß, fächerte sich mit der Speisekarte Luft zu. Vor der Küche, die sich wie in einem Westernsaloon hinter einer halben Schwingtür verbarg, erstreckte sich eine lange Theke. Sie beherbergte neben der Registrierkasse den brandneuen und manchmal noch undurchschaubaren Kaffeeautomaten, mit dem Sylvia zuweilen auf Kriegsfuß stand. Dahinter stapelten sich in einem Wandregal Gläser, Tassen und Becher in allen erdenklichen Formen und Farben.
Sylvia war seit der Eröffnung des Cottage Garden vor sechs Jahren ein fester Bestandteil des Cafés. Inzwischen konnte sie sich ihr Leben ohne die Arbeit hier nicht mehr vorstellen. Wenn sie zu ihrer Schicht antrat, passte ihre Nachbarin Mabel, eine wohlhabende, etwas schrullige, aber gutmütige Witwe, die ansonsten nichts anderes zu tun hatte, als die Tageszeitung nach dem neuesten Klatsch zu durchforsten und hübsche Stickereien anzufertigen, auf Sylvias drei Kinder auf.
Das Geld, das Sylvia im Café verdiente, reichte gerade so, um über die Runden zu kommen. Als alleinstehende Mutter konnte sie jeden Cent gebrauchen. Um nichts in der Welt würde sie sich jedoch einen anderen, möglicherweise besser bezahlten Job suchen. Tayanita zahlte ihr das, was sie konnte, und Sylvia würde niemals eine fairere und bessere Chefin und Freundin finden. Sie betrachtete das Café als eine Art Zufluchtsort, als ihr zweites Zuhause. Hier konnte sie abschalten und einmal etwas anderes tun, als Windeln zu wickeln, Milchfläschchen aufzuwärmen oder brüllende Kinder zu besänftigen. Sie liebte den täglichen Plausch mit den Gästen, den Austausch von Klatsch und Tratsch. Viele der Cafébesucher waren Einheimische aus Willow Creek, die Sylvia seit ihrer Jugend kannte. Hin und wieder verirrten sich auch Touristen auf der Suche nach einer guten, einfachen Mahlzeit und einer Tasse starken Kaffee in das Städtchen, das sich mit dem hochtrabenden Beinamen Tor zu den Blue Ridge Mountains schmückte. Sylvia empfand eine tiefe Verbundenheit zu diesem Ort und seinen Bewohnern. Mit einem leisen Ächzen hievte sie den schweren Korb auf die Theke.
»Tayanita?«
»Komme!« Eine rundliche Frau Mitte vierzig spähte aus der Küche. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Sylvia. Da bist du ja.« Ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten warm. Sie trocknete ihre Hände an der bunt bedruckten Baumwollschürze, die sie um ihre Taille gebunden trug. »Schon zurück? Das ging schnell.«
»Es war nicht viel los bei Violet’s . Stell dir vor, sie gab sich sogar ausgesprochen wortkarg. Hat mich tatsächlich mit ihrem Geplapper verschont«, entgegnete Sylvia, biss sich jedoch sogleich auf die Unterlippe, denn eigentlich mochte sie Violet Hunter. Die Inhaberin des Krämerladens galt als Institution, sie kannte jeden in der kleinen Stadt und wusste stets mit den interessantesten Neuigkeiten aufzuwarten.
Tayanita warf Sylvia einen Blick zu, der Belustigung und Tadel gleichermaßen ausdrückte, und begann im Einkaufskorb zu stöbern. Sie zog zwei in Papier eingeschlagene Baguettes heraus und legte sie auf die Theke. »Hast du alles bekommen?«
»Alles«, bestätigte Sylvia. »Baguette, wie du siehst, grüne Tomaten, Wassermelonen, Süßkartoffeln, Äpfel und Pekannüsse.«
Erneut forschte Tayanita im Korb, öffnete eine braune Papiertüte und nahm einen der rotbackigen Äpfel heraus. Sie schnupperte daran, polierte ihn an ihrer Schürze blank und biss hinein. »Hm … köstlich.« Sie schloss die Augen, während sie genüsslich kaute.
»Tayanita, ich bitte dich!«
»Was denn?« Tayanita zwinkerte ihrer Freundin zu. »Ab und an muss ich prüfen, ob die Qualität der Ware stimmt, die wir unseren Kunden anbieten.«
»Ich brauche alle Äpfel. Und zwar ganz«, schalt Sylvia mit gespielter Strenge, obwohl sie gestehen musste, dass der frische süße Apfelduft auch sie lockte. »Ich habe vor, nachher Apfelmuffins zu backen.«
»Die sind aber wirklich gut«, nuschelte Tayanita und hielt Sylvia das gute Stück entgegen. »Möchtest du kosten?«
»Violet hat sie von Mack’s Farm bekommen .« Sylvia ignorierte das Angebot. »Die sind immer gut. Echte sonnenverwöhnte Carolina Äpfel.«
»Wunderbar. Vielleicht sollten wir davon eine ganze Kiste bestellen.« Tayanita strich sich eine lange Strähne ihres nachtschwarzen Haares hinter das Ohr. »Dann wird
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