Hannahs Entscheidung
habe in meiner Laufbahn als Cop genug Fälle dieser Art zu Gesicht bekommen. Zudem hast du versucht, ihm immer wieder klarzumachen, dass er seine Finger von den Drogen lassen soll.« Sam drückte ihre Schulter, als wollte er ihr Mut zusprechen. »Denk an dich und das Kind. Das ist jetzt, was zählt.«
Schniefend legte Hannah eine Hand auf ihren Bauch. »Shane wird nun niemals erfahren, dass er ein Kind hatte. Was soll ich dem Kleinen nur über seinen Vater erzählen?«
*
Das hohe Gras wiegte sich im Wind wie zu einer leisen Melodie. Drüben im Wald rief ein Vogel. Von den Wipfeln der Kiefern war das metallisch klingende Quaken der Baumfrösche zu hören. Kleine Salamander huschten zwischen den warmen Steinen, die die Veranda begrenzten. Sam ließ den Blick über das Stück Land schweifen, das er sein Eigen nannte. Er liebte dieses Fleckchen Erde: die sanft rollenden Hügel, die dunklen Wälder und die endlos weiten grünen Weiden und Koppeln, die weit hinten von der Bergkette der Blue Ridge Mountains begrenzt wurden. Er war hier verwurzelt. Die Gegend um Willow Creek war seine Heimat. Obwohl er eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt hatte, Green Acres zu verlassen, wusste er nun, dass er es niemals über das Herz bringen würde, diese Farm zu verkaufen. Und wenn sich ein gewisser Jemand entschließen würde, mit ihm hier zu leben, um seiner Einsamkeit ein Ende zu bereiten, wäre sein Glück perfekt. Bisher hatte sich Hannah noch nicht dazu geäußert, ob sie plante, zu bleiben, aber er konnte es ihr kaum zum Vorwurf machen. Schließlich war es erst zwei Tage her, dass sie ihren toten Ehemann auf seinem Grundstück hatte identifizieren müssen. Vielleicht konnte sie den Gedanken nicht ertragen, auf dem Grund und Boden zu leben, wo Shanes Leben geendet hatte. Die forensischen Untersuchungen hatten ergeben, dass Shane an einer Überdosis verstorben war. Ob es sich um Selbstmord oder einen Unfall handelte, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Die Polizei sprach von einer Verkettung unglücklicher Umstände. In Shanes Blut wurde ein hoher Alkoholwert nachgewiesen, und letztendlich war es das verhängnisvolle Zusammenspiel von Alkohol und Medikamenten gewesen, das ihn ins Verderben gestürzt hatte.
Nachdenklich musterte Sam Hannahs Gestalt im Schaukelstuhl. Sie hatte ihre Nase in einem Buch vergraben und schien meilenweit entfernt. Er kniff die Brauen zusammen, um besser sehen zu können. Das Buch kam ihm seltsam vertraut vor. Er ging in die Hocke, damit er einen Blick auf das Cover erhaschen konnte. Der erste Band seiner Trilogie Stumme Schreie . Sieh an. Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen. Sehr schön. Er räusperte sich. Da sie nicht reagierte, ein zweites Mal.
Endlich sah sie auf.
Mit dem Kinn deutete er auf ihre Lektüre. »Wie ich sehe, besitzt du einen sehr guten Geschmack.«
Sie studierte ihn lang und gründlich. »Ach tatsächlich? Deanna meinte, ich müsse es unbedingt lesen. Sie ist ganz begeistert von deiner Art, zu schreiben.« Ihre Mundwinkel zuckten.
»Und du?«
»Hm. Lass mich darüber nachdenken.« Sie klappte das Buch zu, während sie vorgab, zu überlegen. »Ja, ich denke, die Geschichte besitzt durchaus Potenzial«, antwortete sie schließlich. »Nicht schlecht für das Erstlingswerk eines Eselfarmbesitzers und ehemaligen Cops.« Ihre grünen Augen funkelten übermütig.
Lachend schüttelte er den Kopf. »Hannah Mulligan. Du bist einfach unmöglich.« Und sie tat ihm so gut. Jetzt würde er sie fragen. Jetzt und hier. Die Holzplanken der Veranda knarrten unter seinen schweren Schritten. Unvermittelt jedoch hielt er inne und stützte sich mit den Händen auf dem Geländer ab. »Hannah, ich …« Er brach ab, fuhr sich mit der Rechten durch den dunklen Schopf, während er über das Wäldchen hinweg die Blue Ridge Mountains fixierte. In der Abendsonne leuchteten sie in einem rauchigen Graublau. Verdammt, dachte er. Nicht einfach, die passenden Worte zu finden. Die Sache gestaltete sich schwieriger, als er angenommen hatte.
»Komm zu mir, Sam Parker.«
Er drehte sich um. Auf ihren Lippen lag noch immer ein Lächeln.
»Komm schon her«, wiederholte sie, eine Hand nach ihm ausstreckend.
Er löste sich von der Brüstung, ergriff ihre Finger. Sie ließ sich von ihm hochziehen. Er forschte in ihrem Gesicht. Sein Herz pochte ein wenig schneller. »Du weißt, was ich sagen möchte, nicht wahr?«
Ihr Lächeln vertiefte sich.
»Ich liebe dich, Hannah Mulligan«, sagte er sanft,
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