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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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glasig. Hannibal stülpte eine Schüssel über sein Gesicht.
    Er nahm einen Käfig mit Gartenammern aus der Küche, trug ihn nach draußen und öffnete ihn. Den letzten der kleinen Vögel musste er packen und in den mondhellen Himmel emporschleudern. Dann öffnete er die Tür der Voliere
    und scheuchte die Vögel hinaus. Sie bildeten einen Schwarm und kreisten einmal um ihr Gefängnis, winzige Schatten, die über die Terrasse flirrten und sich dann in die Höhe schwangen, um den Wind zu testen und sich am Nordstern zu orientieren.
    »Fliegt!«, sagte Hannibal. »Das Baltikum ist in dieser Richtung. Bleibt den ganzen Sommer.«

56

    Durch die weite Nacht schoss ein einziger Lichtpunkt über die dunklen Felder der Île-de-France, Hannibal weit über den Tank der BMW gebeugt, das Gas voll aufgedreht. Südlich von Nemours runter vom Beton und auf einem alten Treidelpfad am Canal du Loing entlang, Asphalt und Kies, jetzt nur noch eine einzige, auf beiden Seiten überwucherte Asphaltspur. Einmal schlängelte sich Hannibal mit vollem Tempo in halsbrecherischem Zickzack zwischen Kühen auf der Straße hindurch, spürte im Vorbeifahren den flüchtigen Stich eines Schwanzwedels, und dann mit Vollgas weiter, das Motorrad den Kopf schüttelnd und sich wieder fangend und Geschwindigkeit aufnehmend.
    Die Lichter von Nemours hinter ihm allmählich schwächer werdend, inzwischen nichts als flaches Land, vor ihm nur tiefe Dunkelheit, die Details von Kies und wucherndem Unkraut absurd scharf, geradezu aufdringlich im Lichtkegel seines Scheinwerfers, der gelbe Lichtstrahl vom Dunkel vor ihm beharrlich verschluckt. Er begann sich zu fragen, ob er zu weit südlich auf den Kanal gestoßen war – befand sich das Boot schon hinter ihm?
    Er hielt an und schaltete das Licht aus. So stand er, die Hände am Lenker, unter sich das vibrierende Motorrad, eine Weile in völliger Dunkelheit da und versuchte, zu einer Entscheidung zu kommen.
    Weit vor ihm schienen sich zwei kleine Häuser im Gleichklang über eine Wiese zu bewegen, Deckaufbauten, die gerade noch über dem Damm des Canal du Loing zu erkennen waren,

    Vladis Grutas’ Hausboot war herrlich leise, als es in Richtung Süden dahinglitt und mit seinem schwachen Wellengang die Seiten des Kanals streifte. Auf den Wiesen entlang des Uferdamms schliefen Kühe. Müller saß in einem Liegestuhl auf dem Vorderdeck und untersuchte die Wundnaht auf seinem Oberschenkel. Gegen das Geländer der Kajütentreppe neben ihm war ein Gewehr gelehnt. Im Heck war Gassmann dabei, mehrere Segeltuchfender aus einer Truhe zu nehmen.

    Dreihundert Meter hinter dem Boot ging Hannibal vom Gas. Die BMW tuckerte jetzt gemächlich dahin, Gestrüpp streifte über seine Schienbeine. Schließlich hielt er an und holte den Feldstecher seines Vaters aus der Satteltasche. Im Dunkeln konnte er den Namen des Boots nicht lesen.
    Zu sehen waren nur die Positionslichter und der schwache Lichtschein, der durch die Vorhänge der Kabinenfenster drang. Aber hier war der Kanal ohnehin zu breit, um auf Deck springen zu können.
    Den Skipper im Steuerhaus könnte er zwar vom Uferdamm aus mit der Pistole treffen – oder ihn zumindest vom Steuerrad vertreiben. Allerdings wären dann auf dem Boot alle alarmiert, und er müsste es mit allen zur gleichen Zeit aufnehmen, wenn er an Bord kam. Dann könnten sie von beiden Seiten gleichzeitig angreifen. Achtern konnte er eine überdachte Kajütentreppe sehen und am Bug eine dunkle Erhöhung, bei der es sich vermutlich ebenfalls um einen Zugang zum Unterdeck handelte.
    Durch die Fenster des Steuerhauses war der schwache Schein des Kompasshäuschens zu sehen. Aber es hielt sich niemand darin auf. Ihm blieb keine Wahl. Er musste das Boot überholen. Der Treidelpfad führte direkt am Kanal entlang, aber die Felder waren zu holprig, um das Boot in größerem Abstand zu umfahren.
    Als Hannibal auf dem Treidelpfad an der leise dahingleitenden Christabel vorbeifuhr, spürte er, wie seine dem Hausboot zugewandte Seite zu prickeln begann. Ein kurzer Blick auf das Boot. Im Heck war Gassmann noch immer mit den Segeltuchfendern beschäftigt. Er schaute kurz auf, als das Motorrad vorbeifuhr. Motten umflatterten das Oberlicht einer Kabine.
    Hannibal zwang sich, langsam zu fahren. Einen Kilometer weiter sah er die Lichter eines Autos, das den Kanal überquerte. Der Canal du Loing verengte sich zu einer Schleuse, die gerade doppelt so breit war wie ein Kanalboot. Die stromaufwärts gerichteten Tore der

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