Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Bar brannte noch Licht.
Hannibal konnte Hercule den Boden der Bar wischen sehen. Kolnas saß mit dem Hauptbuch auf einem Barhocker. Hannibal zog sich in schützendes Dunkel zurück, startete das Motorrad und fuhr weg, ohne das Licht einzuschalten.
Die letzten fünfhundert Meter zu dem Haus in der Rue Juliana legte er zu Fuß zurück. In der Auffahrt stand ein Citroën Deux-Cheveaux; der Mann auf dem Fahrersitz nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette. Hannibal beobachtete, wie die Kippe aus dem Autofenster in hohem Bogen funkensprühend durch die Luft flog. Der Mann lehnte sich zurück und ließ den Kopf nach hinten sinken. Möglicherweise war er kurz davor, einzuschlafen.
Von der Hecke, die an der Küche vorbeilief, konnte Hannibal ins Haus sehen. An einem der Fenster ging Madame Kolnas vorbei. Sie sprach mit jemandem, der zu klein war, um über den unteren Fensterrand zu reichen. Die Fenster waren mit Fliegengittern versehen und standen in der warmen Nacht offen. Die Fliegengittertür der Küche führte in den Garten. Der Tanto-Dolch glitt mühelos durch das feine Drahtgeflecht und löste den Haken. Hannibal trat sich auf der Fußmatte die Schuhe ab und betrat das Haus. Die Küchenuhr schien auffallend laut. Aus dem Bad waren die Geräusche von einlaufendem Badewasser und Herumgeplansche zu hören. Um zu verhindern, dass die Bodendielen knarrten, hielt er sich dicht an der Wand, als er an der Badezimmertür vorbeiging. Er konnte Madame Kolnas im Bad zu einem Kind sprechen hören.
Die nächste Tür stand ein Stück offen. Hannibal konnte ein Regal voller Spielsachen und einen großen Stoffelefanten sehen. Er schaute in das Zimmer. Zwei Betten. In dem, das näher bei der Tür war, schlief Katerina, das kleine Mädchen. Ihr Kopf war auf die Seite gedreht, der Daumen berührte ihre Stirn. Hannibal konnte den Puls an ihrer Schläfe sehen. Er konnte sein Herz hören. Sie trug Mischas Armreif. Er blinzelte im warmen Schein der Lampe. Er konnte sich selbst blinzeln hören. Er konnte den Atem des Kindes hören. Er konnte Madame Kolnas’ Stimme aus dem Bad hören. Schwache Geräusche, die trotz des gewaltigen Tobens in seinem Innern zu hören waren.
»Los, Muffin, Zeit, dich abzutrocknen«, sagte Madame Kolnas.
Über dem kleinen Hafen lagen dichte Nebelschwaden. Grutas’ Hausboot Christabel, schwarz und prophetisch aussehend, war am Kai vertäut. Grutas und Müller trugen Lady Murasaki gefesselt und geknebelt die Gangway hinauf und dann die Treppe im hinteren Ende der Kajüte hinunter. Grutas kickte die Tür seines Behandlungszimmers auf dem Unterdeck auf. In der Mitte der Kabine stand ein Stuhl, darunter war ein blutiges Laken ausgebreitet.
»Tut mir leid, aber dein Zimmer ist noch nicht fertig«, sagte Grutas zu Lady Murasaki. »Ich werde gleich mal nach dem Zimmermädchen rufen. Eva!« Er ging den Gang hinunter und schob die Tür der nächsten Kabine auf. Eva packte gerade ihr Putzzeug zusammen.
»Komm mit.«
Immer darauf bedacht, Grutas nicht zu nahe zu kommen, folgte Eva ihm ins Behandlungszimmer. Sie entfernte das blutige Laken und legte ein sauberes unter dem Stuhl aus. Sie wollte das verschmutzte Laken wegbringen, aber Grutas hielt sie zurück. »Lass es ruhig hier. Leg es irgendwohin, wo sie es sehen kann.«
Grutas und Müller fesselten Lady Murasaki an den Stuhl.
Dann schickte Grutas den Deutschen hinaus. Er machte es sich auf einem Sofa an der Wand bequem und rieb sich mit der Hand zwischen den weit gespreizten Beinen. »Ist dir eigentlich klar, was passiert, wenn du mir nicht ein bisschen Freude bereitest?«, fragte er.
Lady Murasaki schloss die Augen. Sie spürte, wie das Boot erzitterte und sich in Bewegung setzte.
Hercule musste zweimal gehen, um die Abfalleimer aus dem Restaurant zu bringen. Dann schloss er sein Fahrrad auf und fuhr weg.
Sein Rücklicht war noch zu sehen, als Hannibal durch die Küchentür schlüpfte. Er hatte einen blutigen Beutel mit etwas Großem, Voluminösem bei sich.
Kolnas kam mit dem Hauptbuch in die Küche. Er öffnete die Feuerklappe des Holzherds, warf ein paar Belege hinein und stupste sie mit dem Schürhaken auf die Glut.
Hinter ihm sagte Hannibal: »Herr Kolnas inmitten seiner Schüsseln ...«
Kolnas wirbelte herum und sah Hannibal an der Wand lehnen, in einer Hand ein Glas Rotwein, in der anderen eine Pistole*
»Was wollen Sie? Wir haben längst geschlossen.«
»Kolnas im Schüsselhimmel. Umgeben von Schüsseln. Tragen Sie Ihre Hundemarke, Herr
Weitere Kostenlose Bücher