Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Müller hielt sie von hinten an den Armen.
Als er Hannibals Stimme aus dem Hörer kommen hörte, sagte Grutas ins Telefon: »Um unser Gespräch fortzuführen: Willst du die Japsenfotze lebend Wiedersehen?«
»Ja.«
»Dann hör ihr gut zu. Du kannst raten, ob sie ihre Backen noch hat.«
Was war das für ein Geräusch hinter Grutas’ Stimme? Kochendes Wasser? Hannibal wusste nicht, ob das Geräusch real war; er hörte in seinen Träumen kochendes Wasser.
»Los, sprich mit deinem kleinen Ficker.«
Lady Murasaki begann: »Liebster, versuche auf keinen Fall .. .« Im selben Moment wurde sie schon vom Telefon fortgerissen. Sie wehrte sich in Müllers Umklammerung, und sie stießen gegen den Käfig mit den Gartenammern. Die Vögel begannen aufgeregt zu kreischen und zu schnattern.
Grutas sagte zu Hannibal: »Du hast wegen deiner Schwester zwei Männer umgebracht, Liebster , und mein Haus in die Luft gejagt. Ich biete dir ein Leben für ein Leben. Bring mir alles, die Hundemarken, Topfguckers ganze kleine Sammlung, jedes einzelne Teil. Ich hätte gute Lust, sie zum Schreien zu bringen.«
»Wohin?«
»Halt die Klappe. Bei Kilometer sechsunddreißig an der Straße nach Trilbardou ist eine Telefonzelle. Sei bei Sonnenaufgang dort, und du kriegst einen Anruf. Wenn du nicht da bist, kriegst du per Post ihre Backen. Wenn ich Popil oder sonst einen Polizisten sehe, kriegst du ihr Herz per Paketdienst zugestellt. Vielleicht kannst du es ja für deine medizinischen Studien brauchen, kannst ein bisschen in den einzelnen Herzkammern herumstochern, schauen, ob du dein Gesicht darin findest. – Also: ein Leben für ein Leben?«
»Ein Leben für ein Leben«, sagte Hannibal.
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Dieter und Müller brachten Lady Murasaki zu einem Lieferwagen, der vor dem Restaurant stand. Kolnas tauschte die Nummernschilder an Grutas’ Wagen aus.
Grutas öffnete den Kofferraum, holte ein Dragunow-Scharfschützengewehr heraus und gab es Dieter. »Kolnas, bring mir ein Glasgefäß.« Grutas wollte, dass Lady Murasaki alles mitbekam. Er betrachtete ihr Gesicht mit einer Art Hunger, als er seine Anweisungen erteilte. »Nimm das Auto. Bring ihn an der Telefonzelle um«, sagte er zu Dieter und gab ihm das Glasgefäß. »Bring mir seine Eier gleich hinter Nemours aufs Boot.«
Hannibal wollte nicht aus dem Fenster sehen; Popils verdeckter Ermittler schaute sicher zur Wohnung hoch. Er ging ins Schlafzimmer und setzte sich kurz mit geschlossenen Augen aufs Bett. Die Hintergrundgeräusche vom Telefon tönten noch immer durch seinen Kopf. Tirili, tirili. Der baltische Dialekt der Gartenammer.
Lady Murasakis Bettwäsche duftete ganz leicht nach Lavendel. Er verkrallte seine Fäuste darin, hielt sie an sein Gesicht und zog sie schließlich ab, um sie in der Badewanne einzuweichen. Quer durchs Wohnzimmer spannte er eine Wäscheleine und hängte an einem Kleiderbügel einen Kimono daran, dann stellte er einen Standventilator auf den Boden und schaltete ihn ein. Der Ventilator begann, sich langsam zu drehen und den Kimono, und mit ihm seinen Schatten auf den Gardinen, zu bewegen.
Hannibal stand mit dem Tanto-Dolch in der Hand vor der Samurai-Rüstung und starrte auf die Maske von Kriegsherr Date Masamune.
»Wenn du ihr helfen kannst, dann hilf ihr jetzt.«
Er hängte sich den Riemen um den Hals und steckte den Dolch hinten in seinen Kragen.
Hannibal verdrehte die nassen Laken und knotete sie dann wie bei einem Gefängnisselbstmord aneinander. Als er damit fertig war, ging er auf den Balkon hinaus und band sie am Geländer fest. Sie endeten knapp fünf Meter über dem Pflaster der Durchfahrt.
Er ließ sich Zeit, als er daran hinabkletterte. Als er das Laken losließ, schien ihm der Fall durch die Luft lange zu dauern. Seine Fußsohlen stachen, als er landete und sich seitlich abrollte.
Er schob das Motorrad mit Schwung die Durchfahrt am Haus entlang und auf die dahinter vorbeiführende Straße hinaus, ließ die Kupplung los und schwang sich auf den Sattel, als der Motor nach kurzem Stottern ansprang. Er wusste genug und musste jetzt nur noch etwas einkaufen und Milkos Pistole holen.
55
Die Gartenammern in der Voliere vor dem Café de l’Est waren unruhig unter dem hellen Mond. Sie gurrten leise und traten im Schlaf immer wieder von einem Fuß auf den anderen. Die gestreifte Markise über der Terrasse war eingefahren, die Sonnenschirme waren zugeklappt. Im Speiselokal war es dunkel, aber in der Küche und in der
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