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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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nähert sich seinem neuerworbenen Cembalo, als wollte er einen Fremden mit einer interessanten, leichten Bemerkung ansprechen er spielt ein Lied, das von Henry VIII. komponiert wurde, »Green Grows the Holly«. Ermuntert versucht er sich an Mozarts »Sonate in B-Dur«. Sein Cembalo und er sind noch nicht wirklich miteinander vertraut. Aber die Art, wie es ihm und seinen Händen antwortet, gibt ihm das Gefühl, daß sie bald zusammenkommen werden. Die Brise frischt auf, und die Kerzen flackern, aber Dr. Lecters Augen sind geschlossen, sein Gesicht ist ganz der Musik hingegeben, die er spielt. Seifenblasen fliegen von den sternengleichen Händchen Mischas auf, als sie sie aus der Wanne in die laue Luft wirbelt, die über sie hinwegstreicht. Und als er den dritten Satz beginnt, läuft, leicht wie eine Feder, Clarice Starling durch den Wald. Sie läuft und läuft, das Rascheln der Blätter unter ihren Füßen, das Rauschen des Windes hoch oben in den Bäumen und das Hochwild, das vor ihr hochschreckt, ein Junghirsch und zwei Hirschkühe, die so über den Pfad springen, wie ein Herz springen kann. Mit einemmal ist der Untergrund viel kälter, und zerlumpte Gestalten zerren einen kleinen Hirschen aus dem Wald. Ein Pfeil steckt ihm im Widerrist. Der Hirsch reißt an dem um seinen Hals gelegten Strick. Wieder die Männer, die das verwundete Tier hinter sich her zerren. Sie wollen ihm nicht zur Axt schleppen müssen. Die Musik schrillt auf und bricht über dem blutigen Schnee ab. Dr. Lecter hält sich krampfhaft am
Klavierhocker fest. Er atmet tief und schwer, legt seine Hände auf die Tasten, zwingt sich, eine Phrase zu spielen, dann zwei. Sie verhallen in der Stille. Wir hören einen dünnen, langgezogenen Schrei, der ebenso abrupt abbricht wie die Musik. Er sitzt für lange Zeit unbeweglich da, den Kopf auf die Tasten gelegt. Dann steht er geräuschlos auf und verläßt das Zimmer. Unmöglich zu sagen, wo in dem dunklen Haus er sich nun aufhält. Der von der Chesapeake Bay heraufkommende Wind frischt auf und läßt die Kerzen flackern und schließlich verlöschen. Er streicht durch die Saiten des im Dunkeln stehenden Cembalos - ein Ton wie zufällig, ein Ton wie ein Schrei aus längst vergangenen Tagen.

KAPITEL 55
    Die »Mid-Atlantic Regional Gun and Knife Show« im War Memorial Auditorium. So weit das Auge reicht, Tische mit Waffen, in der Mehrzahl Handfeuerwaffen und auf Angriff getrimmte Schrotgewehre. Die roten Laser der Zielsucher wandern über die Decke. Nur wenige wirklich Jagdbegeisterte kommen zu Waffenschauen. Für Hie ist das eine Frage des Geschmacks. Handfeuerwaffen sind heutzutage schwarz, Waffenschauen in der Regel trostlos, farblos und genauso freudlos wie die
Seelenlandschaft vieler ihrer Besucher. Schaut euch dieses Volk an: schmuddelig, argwöhnisch, verärgert, minderbemittelt, edle Einfalt, stille Größe in der mit Abstand übelsten aller Formen. Sie sind die eigentliche Gefahr für das Recht des Bürgers auf den Besitz von Feuerwaffen. Die Waffen, an denen sie Gefallen finden, sind Sturmgewehre, billige, aus Preßstücken hergestellte Massenware, um ignorante und untrainierte Haufen mit möglichst hoher Feuerkraft zu versorgen. Zwischen den Bierbäuchen, den schwammigen und teigigen Revolverhelden bewegte sich Dr. Hannibal Lecter, königlich schlank. Die Waffen interessierten ihn nicht. Er steuerte direkt auf die Auslage des besten Messerschmieds im weiten Rund der Schau zu. Der Schmied heißt Buck und wiegt 325 Pfund. Buck hat eine Menge Fantasy-Schwerter und Kopien von mittelalterlichen und exotisch aussehenden Gegenständen im Angebot, aber er offeriert auch die weit und breit besten Messer und Totschläger. Dr. Lecter erkennt auf den ersten Blick, daß er hier die meisten Gegenstände auf seiner Liste finden würde. Es waren Dinge, die er notgedrungen in Italien zurücklassen mußte. »Kann ich helfen?« Buck war pausbäckig, hatte einen freundlichen Mund und einen bösartigen Blick. »Ja. Ich nehme das Harpy da und ein gerades, gezacktes Spyderco mit einer 4-Inch-Klinge und das drop-point skinner dort hinten, bitte.« Buck suchte das Gewünschte zusammen. »Ich brauche ein gutes Aufbruchmesser. Nicht das hier, sondern ein wirklich gutes. Außerdem wüßte ich gern, wie der flache lederne Totschläger in der Hand liegt, der schwarze dort ...« Dr. Lecter prüfte die Elastizität. »Ausgezeichnet, ich nehme ihn.« »Darf’s sonst noch etwas sein?« »Ja. Ich hätte außerdem gern ein Spyderco

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