Hannibal
jede Bewegung in seinem Gesichtsfeld wahrnahm, so registrierte das Auge des Händlers jedes Innehalten in der vorbeiströmenden Menge. Der Mann vor ihm war vollkommen regungslos. »Ist das dort Ihre beste Armbrust?« fragte Dr. Lecter den Händler. »Nein.« Der Mann holte unter dem Ladentisch einen Koffer hervor. »Das hier ist mit Abstand die beste. Ich mag die recurve lieber als die compound, falls man sie mit sich herumschleppen muß. Sie hat eine Winde, die man elektrisch und manuell bedienen kann. Sie wissen hoffentlich, daß Sie in Virginia mit einer Armbrust nur dann auf die Hirschjagd gehen dürfen, wenn Sie behindert sind?« »Mein Bruder hat einen Arm verloren und ist ganz heiß darauf, mit dem anderen etwas zu töten«, antwortete Dr. Lecter. »Oh, ich kapiere.« Es dauerte keine fünf Minuten, und der Doktor kaufte eine ausgezeichnete Armbrust und zwei Dutzend jener kurzen, dicken Pfeile, die man beim Armbrustschießen verwendete. »Schnüren Sie mir bitte ein Paket«, sagte Dr. Lecter. »Füllen Sie doch die Teilnahmekarte aus, vielleicht gewinnen Sie ja eine Hirschjagd. Zwei Tage in einem guten Revier«, sagte der Händler. Dr. Lecter füllte seine Teilnahmekarte aus und steckte sie in den Schlitz der Box. Sobald der Händler durch einen anderen Kunden abgelenkt war, wandte sich Dr. Lecter noch einmal an ihn. »Mist!« sagte er. »Ich habe vergessen, meine Telefonnummer auf der Teilnahmekarte zu vermerken. Darf ich?« »Sicher, nur zu.« Dr. Lecter hob den Deckel der Box ab und nahm die beiden obenliegenden Teilnahmekarten heraus. Er ergänzte die ohnehin falschen Informationen auf seiner eigenen und warf einen langen Blick auf die darunterliegende. Er blinzelte einmal, wie eine Kamera, deren Verschluß sich öffnet und schließt.
KAPITEL 56
Das Fitneßstudio der Muskrat Farm bot in einer schneckenförmigen Anordnung high-tech-schwarz und chromblitzend den kompletten Satz an Maschinen, Gewichten und Aerobic -Equipment sowie die obligatorische Saftbar. Barney hatte sein Workout beinahe beendet und ließ es auf einem Fahrrad langsam auslaufen, als er bemerkte, daß er nicht allein war. Margot Verger begann in der Ecke mit ihrem Aufwärmtraining. Sie trug elastische Shorts und ein TankTop über einem Sport-BH und war gerade dabei, sich den Gürtel fürs Gewichtheben umzuschnallen. Er hörte sie atmen, als sie einen Satz zum Aufwärmen absolvierte. Barney radelte auf dem Fahrrad, die Einstellung für den Widerstand auf der kleinsten Stufe, und rubbelte sich mit einer Hand die Haare trocken, als sie zwischen zwei Sätzen zu ihm herüberkam. Sie blickte auf seine Arme und dann auf ihre. Beide hatten in etwa dieselbe Muskelmasse. »Wieviel legst du beim Bankdrücken maximal auf?« fragte sie. »Keine Ahnung.« »Natürlich weißt du das.« »So um die dreifünfundachtzig.« »Drei-fünfundachtzig? Wenn ich alles glaube, big boy, aber du drückst keine drei-fünfundachtzig.« »Vielleicht haben Sie recht.« »Ich habe hier hundert Dollar, die behaupten, daß du keine dreifünfundachtzig schaffst.« »Gegen?« »Gegen hundert Dollar, was, zum Teufel, glaubst du denn? Und ich werde ein Auge auf dich haben, mein Freund.« Barney schaute sie an und runzelte die Stirn. »Okay.« Sie legten die Scheiben auf. Margot zählte die am Ende der Stange, die Barney aufgelegt hatte, als ob er schummeln wollte. Im Gegenzug zählte er ganz besonders genau die ab, die sie aufgelegt hatte. Flach auf der Bank nun, Margot über ihm in ihren Spandex-Shorts am Kopfende stehend. Der Übergang von Hüfte zu Bauch war bei ihr eingekerbt wie ein Barockrahmen, und ihr massiver Torso schien beinahe bis zur Decke zu reichen. Barney machte es sich bequem, fühlte die Bank in seinem Rücken. Margots Beine rochen wie kühles Liniment. Ihre Hände lagen leicht auf der Stange, die Nägel korallenfarben lackiert, wohlgeformte Hände eigentlich, obwohl sie so stark waren. »Fertig?« »|a.« Er stieß die Langhantel dem Gesicht entgegen, das sich über ihn beugte. Es war keine besonders große Herausforderung für Barney. Er setzte die Hantel auf der Gabel vor Margot ab. Sie holte das Geld aus ihrer Sporttasche. »Vielen Dank«, sagte Barney. »Ich schaffe mehr Kniebeugen als du« war alles, was sie sagte. »Ich weiß.« »Und wie, wenn ich fragen darf?« »Ich kann im Stehen pinkeln.« Ihr muskelbepackter Hals rötete sich. »Das kann ich auch.« »Hundert Dollar?« fragte Barney. »Mach mir einen Smoothie«, sagte sie. Auf der Theke der
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