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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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einen Klang aus den Tiefen des Palazzo. Pazzi legte sein Ohr an eine kalte Fenstersprosse und lauschte. Er hörte ein Klavier, Bachs »Goldberg-Variationen«, sehr gut gespielt. Abwarten, sich auf die Lauer legen, und vor allem eins, nachdenken. Es war noch viel zu früh, um das Wild aufzuscheuchen. Er mußte nachdenken und einen Entschluß fassen. Pazzi wollte nicht noch einmal wie ein Idiot dastehen. Als er sich wieder in den Schatten auf der anderen Straßenseite zurückzog, war das letzte, was man von ihm verschwinden sah, seine Nase.

KAPITEL 21
    Der christliche Märtyrer San Miniato hob das ihm abgeschlagene Haupt aus dem Sand des römischen Amphitheaters in Florenz auf und trug es unter dem Arm zum Berghang jenseits des Flusses, dem Ort, wo er in seiner prächtigen Kirche, San Miniato al Monte, begraben wurde, so jedenfalls will es die Legende. Ganz gewiß kam San Miniatos Körper, ob aufrecht oder nicht, auf seinem Weg die uralte Via de’ Bardi entlang, wo wir nun stehen, Der Abend dämmert, und die Straße ist leer, das fächerförmige
Kopfsteinpflaster schimmert feucht im Nieselregen, der nicht kalt genug ist, um den Geruch der Katzen abzutöten. Wir weilen inmitten der Paläste, die von den Fürsten, den Königsmachern und Kunstkennern des Florenz der Renaissance erbaut worden sind. Keinen Bogenschuß weit entfernt, jenseits des Arno, liegt die grausame Spitze der Piazza della Signoria, wo man Girolamo Savonarola aufgeknüpft und verbrannt hat, und das prachtvolle Haus des Fleisches mit seinen wohl abgehangenen Christusbildern, die Uffizien. Diese Familienpaläste, die sich in einer uralten Straße drängen und denen die italienische Bürokratie der Gegenwart teilnahmslos gegenübersteht, haben nach außen hin eine Gefängnisarchitektur. Aber in ihrem Inneren beherbergen sie großartige und wohltuende Räume, hohe, stille Hallen, die nie jemand zu Gesicht bekommt, drapiert mit verrotteten
Seidentapeten, wo die weniger berühmten Werke der großen Renaissance-Künstler jahrelang im Dunkeln hängen, allenfalls von Blitzschlägen illuminiert. Hier neben dir, werter Leser, steht der Palazzo der Capponi, eine Familie, die auf eine tausendjährige Geschichte zurückblickt, die das Ultimatum eines französischen Königs vor dessen Augen zerrissen hat und aus deren Reihen ein Papst hervorging. Die vergitterten Fenster des Palazzo Capponi sind nun dunkel, die Fackelhalter leer. In jener blindgewordenen Fensterscheibe dort drüben ist noch ein Einschußloch aus den vierziger Jahren zu sehen. Komm näher. Lehne deinen Kopf gegen das kalte Eisen, wie es der Polizeibeamte getan hat, und lausche. Schwach hörst du ein Klavier. Bachs »Goldberg -Variationen«, nicht vollendet, aber außerordentlich gut, mit einem tiefen Verständnis für die Musik gespielt; man meint zu hören, die linke Hand des Spielers sei ein wenig steif. Du, der du dich frei glaubst von Übel, willst du hineingehen? Wirst du diesen Palast betreten, berühmt für Blut und Ruhm, wirst du deinem Gesicht in die von Spinnweben durchzogene Dunkelheit folgen, dich dem
ausgezeichneten Klavierspiel nähern? Für die Alarmanlage existieren wir nicht. Der naßgewordene Polizeibeamte, der im Hauseingang lauert, kann uns nicht sehen. Komm also ... Drinnen in der Vorhalle ist die Dunkelheit beinahe undurchdringlich. Eine weitgeschwungene Steintreppe. Das Treppengeländer fühlt sich kühl für die darübergleitende Hand an. Die Stufen unter unseren Füßen sind ausgetreten von den Schritten aus vielen Jahrhunderten. Wir folgen dem Klang der Musik. Die riesige Flügeltür der großen Halle würde knarren und in ihren Angeln quietschen, wenn wir sie öffnen müßten. Für dich, werter Leser, stehen sie offen. Die Töne dringen aus dem hintersten Winkel des Raumes zu uns. Von dort kommt auch das einzige Licht, das Licht vieler Kerzen, das durch eine kleine Kapellentür fällt und einen rötlichen Schimmer verbreitet. Zur Musik also. Verschwommen tauchen große Gruppen verhängter Möbelstücke auf, unscharfe Formen, die im flackernden Kerzenlicht wie eine Herde schlafender Tiere anmuten. Über uns verliert sich die Höhe des Raumes in tiefer Dunkelheit. Der Lichtschein fällt rötlich auf das reichverzierte Klavier und den Mann dahinter, der den Renaissance-Gelehrten als Dr. Fell bekannt Ist. Er scheint ganz in die Musik versunken. Sein Haar und der Rücken seines wattierten seidenen Morgenmantels reflektieren den strahlenden Glanz des Lichtes. Die

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