Hannibal
durch den Kreuzgang hinter ihm fliehen und von dort aus dem offenen Himmel und Gott entgegenfliegen konnten. Mit Mühe versuchte er sich ein paar schöne Dinge vorzustellen, die er mit dem Geld, das er für Dr. Lecter bekommen würde, machen könnte. Er sah die Hügel von Galiläa, die ihm wie die Chesapeake Bay vorkamen. Er sah die rosige Hand seiner Frau, die seinen Schwanz umfaßt hielt und zusammenpreßte, um die Eichel weiter anschwellen zu lassen. Er schaute sich um, sah niemanden und sprach laut zu Gott: »Ich danke dir, Gottvater, daß du mir gestattest, das Ungeheuer, dieses Ungeheuer der Ungeheuer, von deiner geliebten Erde zu entfernen; ich danke dir im Namen aller Seelen, denen wir damit Leid ersparen.« Inwieweit dies ein Pluralis majestatis oder eine Anspielung ihrer beider Partnerschaft, Gottes und Pazzis, war, war nicht klar, und wahrscheinlich gab es darauf mehr als nur eine Antwort. Der Teil seines Denkens, der ihm nicht wohlgesonnen war, sagte Pazzi, daß er und Dr. Lecter das Leben eines Menschen auf dem Gewissen hatten, daß Gnocco ihr Opfer war, da Pazzi nichts unternommen hatte, um ihn zu retten, sondern ganz im Gegenteil erleichtert war, als dieser endlich sein Maul hielt. Das Beten bot so etwas wie Trost, dachte Pazzi, als er die Kapelle verließ - er hatte das unbestimmte Gefühl, als er durch den dunklen Kreuzgang schritt, daß er nicht allein war. Carlo wartete unter dem Überhang des Palazzo Piccolomini und schloß sich Pazzi an. Sie sprachen wenig miteinander. Sie gingen auf die Rückseite des Palazzo Vecchio und überzeugten sich, daß der Hinterausgang zur Via dei Leone verriegelt und die Fensterläden darüber verschlossen waren. Die einzige offene Tür war der Haupteingang des Palazzo auf der Vorderseite. »Wir kommen hier heraus, gehen die Stufen hinunter und biegen um die Ecke in die Via Neri ein«, sagte Pazzi. »Mein Bruder und ich werden auf der Loggia -Seite der Piazza sein. Wir werden uns ein gutes Stück hinter euch beide zurückfallen lassen. Die anderen warten vor dem Museo Bardini.« »Ich habe sie gesehen.« »Sie dich auch«, sagte Carlo. »Macht der Plastikschrot viel Lärm?« »Nicht der Rede wert, nicht wie eine Pistole, aber man hört es doch ein wenig. Er wird schnell zu Boden gehen.« Carlo erzählte Pazzi nicht, daß Piero aus dem Schatten vor dem Museum feuern würde, wenn Pazzi und Lecter noch im Licht waren. Carlo wollte nicht, daß Pazzi von der Seite des Doktors wich und ihn warnte, bevor der Schuß fiel. »Du mußt Mason noch heute nacht durchgeben, daß du ihn in deine Gewalt gebracht hast«, sagte Pazzi. »Sei unbesorgt. Das Arschloch wird die ganze Nacht damit zubringen, Mason am Telefon um Gnade anzuwinseln«, antwortete Carlo und warf, in der Hoffnung, ihn unangenehm berührt zu sehen, Pazzi an seiner Seite einen Blick zu. »Anfangs wird er Mason anflehen, ihn zu verschonen, und nach einer Weile wird er nur noch darum betteln, sterben zu dürfen.«
KAPITEL 36
Die Nacht brach herein, und die letzten Touristen wurden aus dem Palazzo Vecchio gescheucht. Viele, die den mittelalterlichen Bau drohend hinter sich aufragen fühlten, als sie sich über die Piazza zerstreuten, drehten sich ein letztes Mal um, um noch einmal zu dem zinnenbekrönten Laufgang hochzublicken. Flutlichter gingen an. Sie verwuschen die Konturen der rauhen Felsquader und schärften die Schatten unter den hohen Zinnen. Als die Schwalben zu ihren Nestern zurückkehrten, tauchten die ersten Fledermäuse auf, die bei ihrer Jagd weniger durch das Licht als durch die hohen Frequenzen der von den Restauratoren eingesetzten elektrischen Geräte gestört wurden. Im Inneren des Palazzo würde die unendliche Geschichte der Erhaltung und Ausbesserung noch eine volle Stunde lang weitergehen. Ausgenommen im Liliensaal, wo sich Dr. Lecter mit dem Vorarbeiter des Ausbesserungstrupps beratschlagte. Der Vorarbeiter, der die Nöte und das sauertöpfische Anspruchsdenken der »Kommission der Schönen Künste« nur zur Genüge kannte, empfand den Doktor als ebenso liebenswürdig wie großzügig. Es war nur eine Frage von Minuten, bis seine Arbeiter ihr technisches Gerät, die großen Poliermaschinen und Kompressoren mitaufgerollten Leitungen und Stromkabeln an die Wände geräumt hatten. Nicht minder schnell hatten sie die Klappstühle für die Versammlung der Studiolo aufgestellt - es wurde ohnehin nur ein Dutzend Stühle benötigt - und die Fenster aufgerissen, um den Geruch von Farbe, Wachs und
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