Happy Family
intimste Moment, den ich seit Wochen mit einem Mann gehabt hatte.
Neben uns stand ein Kerl im Nadelstreifenanzug, Typ geschniegelter Banker, und mampfte ungerührt seinen Döner. Anscheinend besaß er – im Gegensatz zu Frank – den unmenschlichen Magen aus Stahl, den man brauchte, um in einer Bank eine ganz große Karriere zu machen.
Schließlich ließ Don Osman von mir ab und erklärte in akzentfreiem Deutsch, das alle negativen Integrationsdebatten widerlegte: «Diese Frau atmet nicht mehr.»
Diese Tatsache hätte mich vor ein paar Minuten noch aufgeregt. Aber ich wusste ja bereits, dass ich auch kein Herz hatte. Da war mittlerweile ein organisches Gesamtkonzept zu erkennen.
«Sie … sie ist kalt wie ein Fisch», stammelte Don Osman mitgenommen.
Das regte mich dann doch auf: «Sie sind aber nicht sehr charmant.»
Der Banker hörte vor Schreck auf zu essen und zeigte damit so etwas wie eine menschliche Regung, und Don Osman rief aus: «Allah!»
«Ich befürchte, der hat damit nichts zu tun», erklärte ich.
«Was … was bist du?», fragte Don Osman.
Ich blickte nach oben, sah, dass die Bettlerin verschwunden war, und antwortete: «Gekniffen.»
Benommen bedankte ich mich bei dem Dönerbudenbesitzer dafür, dass er mich aus seinem Laden gezogen hatte, rappelte mich auf und beschloss, zu meiner Familie zurückzukehren. Anstatt über die Dächer zu hüpfen, entschied ich mich für den herkömmlichen Weg mit der S-Bahn. Ich hatte zwar weder Geld noch Ticket, aber ich wollte dennoch Bahn fahren, um ein wenig Normalität in mein Leben zu bringen. Wenigstens für einen Moment. Und es war wirklich auch nur ein kurzer Moment, denn kaum war ich eingestiegen, beobachteten mich die anderen Fahrgäste misstrauisch, ängstlich, ja fast panisch. Ihr Verstand wollte sich einreden, dass ich nur ein Kostüm trug. Aber die Instinkte der Leute sagten ihnen etwas anderes. Sie spürten, dass es sich bei mir um keinen echten Menschen handelte, und so verzogen sie sich alle in die andere Hälfte des Wagens. Vampire besaßen anscheinend eine weitere Fähigkeit: Sie konnten jederzeit, selbst im Stoßverkehr, einen freien Sitzplatz finden.
Während die S-Bahn über die Gleise ruckelte, hörte ich von den anderen Fahrgästen Sätze wie: «Oh mein Gott! … Die … die Frau spiegelt sich nicht in der Scheibe …»
«Ach du heilige Scheiße, das stimmt ja!»
«Das … das ist bestimmt nur ein Trick.»
«Was für ein Trick soll das denn bitte schön sein?»
«Irgendwas von Hollywood.»
«Hollywood? Siehst du hier Tom Cruise oder so?»
«Nein, der würde mir auch noch mehr Angst machen.»
«Ich glaube, das ist kein Trick.»
«Das befürchte ich langsam auch.»
«Und ich befürchte, ich hab mir gerade in die Hose gemacht.»
Während die anderen Fahrgäste wohl mit dem Gedanken spielten, die Notbremse zu ziehen, fragte ich mich, wer der «Fürst der Verdammten» sein mochte, von dem die Hexe gesprochen hatte. Warum nannte er sich nur Fürst? Wenn ich Chef der Verdammten wäre, würde ich mich doch an seiner Stelle Kaiser, König oder Aufsichtsratsvorsitzender der Verdammten nennen. Und warum sollte ich dem Fürst gefallen? In diesem Zustand? Oder auch nur in meinem ursprünglichen? Der niedere Adelige besaß wohl einen ziemlich exzentrischen Geschmack.
Endlich hielt die Bahn. Ich stieg aus, vergaß den Fürst und eilte in die Straße, in der ich meine Familie, unser Auto und unsere Autotür zurückgelassen hatte. Fee saß immer noch auf dem Bordstein und betrachtete ihre bandagierten Hände wie zwei Fremdkörper. Max hingegen knurrte die Menschen hinter den Vorhängen an, und es schien ihm Spaß zu machen, wenn sie sich vor Angst weit ins Innere ihrer Wohnungen zurückzogen. Und Frank? Frank starrte auf zwei Polizisten. Sie waren aus ihrem Streifenwagen gestiegen und näherten sich so vorsichtig, wie man sich einem Zwei-Meter-dreißig-Mann mit Schrauben im Kopf nähern sollte.
Einer der beiden Polizisten war groß. Der andere klein. Beide untersetzt. Und beide wirkten etwas unsicher. Dass Frank gerade eine Laterne verbog, mochte zu ihrer Unsicherheit beitragen. Frank tat dies nicht bösartig. Eher wie ein interessiertes Kind. Ein interessiertes Kind mit übermenschlicher Kraft. Ein bisschen so wie der kleine Obelix, dessen Eltern man ja auch nicht hätte sein wollen.
«Lassen Sie das!», forderte der große Polizist Frank auf.
«Ufta?», antwortete er exakt das, was ich erwartet hatte.
«Sind Sie
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