Happy Family
Fuckment.»
Bevor mir etwas Tröstendes einfallen wollte, zerbrach Frank zwischen seinen Fingern die Stehlampe. Das war halb so wild, hatte die uns doch seine Mutter geschenkt, die einen Geschmack besaß, der in einer besseren Welt sicherlich unter Androhung von Todesstrafe gestellt worden wäre.
Bevor aber Frank aus unserer Wohnung endgültig einen Sondermüllhaufen machte, führte ich ihn lieber zum Sofa. Sanft drückte ich ihn an seinen Hüften in die Kissen hinab. Das Sofa bog sich unter seinem Gewicht gewaltig nach unten – er mochte vielleicht 250 Kilo wiegen? –, blieb aber heile. Ich musste irgendetwas finden, das ihn auf der Couch hielt. Sollte ich den Fernseher anmachen? Andererseits könnte er darin schreckliche Sachen sehen, die ihn durchdrehen ließen: Schießereien, Raubtiere oder Volksmusik.
Daher nahm ich eine Schneekugel, die uns ebenfalls seine Mutter nach einem Köln-City-Trip geschenkt hatte. Ich zeigte ihm, was man tun musste, damit es auf den Kölner Dom herabschneite, und er war völlig fasziniert. Er nahm die Kugel so behutsam wie möglich, um sie mit seinen starken Fingern nicht kaputt zu machen. Ganz zärtlich schüttelte er sie und lachte, als der Schnee rieselte: «Hohoho.»
Es klang ein bisschen wie beim Weihnachtsmann. Wenn man dessen Stimme durch einen metallenen Verzerrer gejagt hätte.
Franks tiefes Lachen ließ meinen Körper vibrieren. Dabei merkte ich: Ich hatte kein Herz, keinen Atem, also wohl auch keine Lunge, dafür aber einen Magen. Wer hatte sich wohl diese Vampir-Anatomie ausgedacht? Vielleicht der gleiche Scherzkeks, der das männliche Geschlechtsteil konzipiert hatte?
Oder die Tatsache, dass Liebe und Zorn so nah beieinanderlagen?
Franks Lachen war kindlich. Naiv. Unschuldig. Irgendwie süß. Sofern man jemanden süß finden konnte, dessen Zähne aussahen wie unbehauene Hinkelsteine. Das letzte Mal hatte ich Frank so happy gesehen, als er im Frühjahr mit seinen beiden ehemaligen Schulkameraden zu einer einwöchigen Reise nach Ägypten aufgebrochen war.
Mein Blick fiel nun auf Max, der auf seinen vier riesigen Pfoten aus dem Wohnzimmer lief, und folgte ihm in sein Zimmer. Das bestand im Wesentlichen aus Bücherstapeln, die sich gegenseitig stützten und von denen ich immer dachte: Wenn man hier auch nur ein Buch rauszieht, gibt es eine unkontrollierbare Kettenreaktion.
Max betrachtete ein Buch mit dem Namen
Die Untoten
. Wenn da nicht Zombies auf dem Cover gewesen wären, die entfernt an Keith Richard von den Stones erinnerten, hätte ich mich mittlerweile von dem Titel angesprochen gefühlt.
Max betrachtete das Buch, als ob er es gerne als nächstes lesen wollte … da stimmte definitiv etwas nicht. Er war kein normaler Wolf, oder besser gesagt, kein Junge, der in einen normalen Wolf verwandelt worden war. Dieser Wolf schien Verstand zu haben!
Obwohl ich ganz leise war und nicht atmete – ich musste es ja ohne Lunge nicht, wenn ich nicht wollte – hörte er mich mit seinen Wolfsohren. Er ließ erschrocken vom Buch ab, drehte sich hastig um, machte Platz und tat so, als ob nichts passiert sei. Es hätte nur noch gefehlt, dass er unauffällig «Dumdidumdidum» gesungen hätte.
«Kannst du mich verstehen?», fragte ich.
Keine Reaktion, außer einem Blick, der ebenfalls «Dumdidumdidum» aussagte.
«Wenn du mich verstehen kannst, dann wedele mit deinem Schwanz.» (Dies war im Übrigen ein Satz, den wohl keine Mutter gerne zu ihrem Sohn sagte.)
Max wedelte nicht.
«Ich weiß ganz genau, dass du mich verstehst.»
Wieder keine Reaktion.
«Hmm, wenn wir es nicht schaffen, den Fluch rückgängig zu machen», sagte ich möglichst beiläufig, «müssen wir dich kastrieren.» (Und dies war eine Drohung, die wohl auch keine Mutter gerne ausspricht.)
«Das würdest du nicht tun!», kam es von Max wie aus der Pistole geschossen.
Das überraschte mich dann doch: Er konnte mich nicht nur verstehen, er konnte auch sprechen. Nicht nur bellen!
Als er merkte, dass er sich verraten hatte, hielt er sich hastig seine beiden Vorderpfoten vor die Schnauze. Zu spät!
«Warum hast du so getan, als ob du nur kläffen kannst?», fragte ich gereizt. Wir waren als Familie in einer schlimmen Lage, und er spielte alberne Versteckspiele.
«Ich … ich …» Er stockte.
«Du …?», hakte ich nach.
«Ich will nicht, dass der Fluch rückgängig gemacht wird.»
«W… was?»
«Ich will nicht, dass …»
«Akustisch hab ich das schon verstanden», unterbrach ich ihn.
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