Happy Family
Eltern war es anscheinend völlig egal, dass sie sich so spät nachts draußen herumtrieb.
Das war irgendwie cool.
Jacqueline schien zu frieren. Kein Wunder, waren ihre Turnschuhe doch genauso porös wie ihre Jacke. Unter der trug sie nur ein dünnes T-Shirt mit der Aufschrift
Wenn du das hier lesen kannst, bist du gleich tot, du Spanner!
.
Als Erstes wollte ich ihr einen brutalen Schreck einjagen. So baute ich mich vor ihr auf und jaulte animalisch: « WRRAUGHH !»
Ihre Antwort war: «Halt’s Maul, Fifi.»
Das war nicht ganz die Reaktion, die ich antizipiert hatte.
« WRRAUGHH !», wiederholte ich und fletschte dabei bedrohlich mit den Zähnen.
«Halt’s Maul, Fifi, oder ich wickele dir deinen Schwanz um den Hals. Und ich mein nicht den Schwanz, den du meinst.»
Mensch, sie sollte doch Angst vor mir haben, nicht ich vor ihr!
Jacqueline nahm einen weiteren Schluck Bier. Den leeren Dosen hinter ihr nach zu urteilen, hatte sie schon über eineinhalb Liter intus, vielleicht war sie deswegen bei meinem Anblick so relaxt. Aber es wäre ja gelacht gewesen, wenn ich ihr als Werwolf keine Angst einjagen könnte! Dazu musste ich nur parlieren. Ein Wolf, der wie ein Homo sapiens sprechen konnte, würde sogar sie zum Zittern bringen.
«Ich bin dein Unheil!», verkündete ich, zugegeben leicht melodramatisch.
Jetzt hatte ich zumindest ihre Aufmerksamkeit. Sie runzelte die gepiercten Augenbrauen wie Mister Spock, wenn ein weiblicher Alien auf der Enterprise zu ihm sagte: «Ich möchte mich mit dir paaren.»
Allerdings hatte Jacqueline immer noch keine Angst vor mir. Sie sagte nur anerkennend: «Geil, Fifi kann ja sprechen.»
«Ich kann dich auch verletzen.»
«Das bezweifele ich», entgegnete sie und machte sich eine neue Dose Bier auf.
«Ich bin ein Werwolf», versuchte ich meine Gefährlichkeit zu erläutern, die bei einem normalen Menschen eigentlich keiner näheren Erläuterung bedurft hätte. Aber bei Jacqueline schon. Dieses Mädchen konnte einem echt Angst machen.
«Das seh ich, Fifi», erwiderte sie. Eiskalt. Sie war wirklich eiskalt. Das war auch ein bisschen faszinierend.
«Du … hast keine Angst vor einem Monster?», fragte ich. Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Wenn jemand vor mir stehen würde, der mich mit seinen Zähnen zerreißen könnte, würde ich nicht in Seelenruhe weiter Dosenbier trinken. Ich würde nach Mama schreien. Oder, noch besser, nach den US -Marines.
«Es gibt Amateur-Monster. Und es gibt richtige Monster», erklärte Jacqueline zwischen zwei Schlucken. «Du bist ein Amateur.»
«Ach, und du kennst Profis?», fragte ich, in meiner neuen Monsterehre etwas gekränkt.
«Vollprofis», bestätigte sie.
«Das glaub ich nicht», entgegnete ich. Gegen was für Monster wirkte man als Werwolf denn schon wie ein Amateur?
«Dann glaub es eben nicht, Fifi», sagte sie, leerte die Dose, zerknüllte sie mit einer Hand und warf sie quer über die Straße.
Ich widerstand meinem albernen Instinkt, die Dose zu apportieren.
Nach einer Weile des Schweigens sagte Jacqueline zu mir: «Du kannst mich gerne killen.»
«Wie … wieso … killen?» An so etwas Radikales hatte ich gar nicht gedacht. Ich wollte ihr bloß Angst einjagen, was ja kläglich gescheitert war.
«Seh ich so aus, als ob ich jedem dahergelaufenen sprechenden Köter mein Leid klage?», fragte sie.
«Wem kannst du es denn sonst klagen?», konterte ich.
«Richtig», spottete sie bitter, «wem sonst?» Sie sah dabei richtig traurig aus. Geradezu bemitleidenswert. Unglaublich, ich bekam mit Jacqueline Mitgefühl? Ich hatte immer gedacht, eher würde ich mit Kim Jong-il welches haben.
«Warum willst du denn nicht mehr leben?», fragte ich vorsichtig.
«Wegen dem Profi-Monster.»
«Was … was für ein Monster?»
«Das mich quält», flüsterte sie. Ausgerechnet die harte Jacqueline wirkte nun zerbrechlich.
«Wie quält es dich?», wollte ich wissen. Dabei bemühte ich mich, so sanft zu sprechen, wie es mit meinen animalischen Stimmbändern nur möglich war.
Jacqueline schwieg.
«Komm, du kannst es mir sagen, ich bin ein Werwolf. Wem sollte ich es schon weitersagen?»
«Willst du es wirklich wissen?», flüsterte sie.
«Ja … das will ich.»
«So quält mich das Monster», sagte sie kaum noch hörbar und zog Jacke und T-Shirt hoch. Ich sah ihren nackten Rücken. Er war übersät mit Striemen. Sie sah aus wie ein Matrose der Bounty, den Captain Bligh mit einer gestohlenen Wasserration erwischt hatte.
Ich
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