Happy Family
war extrem geschockt.
«Wer …?», fragte ich mit vibrierender Stimme.
«Meine Mutter», antwortete Jacqueline und biss dabei auf ihre zitternde Unterlippe, um nicht loszuheulen.
Vor ein paar Minuten noch hatte ich dieses Mädchen zu Tode erschrecken wollen.
Jetzt wollte ich das mit ihrer Mutter tun.
Und Jacqueline tröstend in meine Pfoten nehmen.
[zur Inhaltsübersicht]
EMMA
«Das ist nicht Fee», stellte ich fest, als Max kurz vor Sonnenaufgang ein Mädchen mit nach Hause brachte. Das Ganze war aus mehreren Gründen befremdlich: Zum einen hatte dieses Mädchen nur entfernt Ähnlichkeit mit einem Mädchen. Es sah eher aus wie etwas, was ein streunender Hund mit nach Hause bringt und einem vor die Füße legt, was in diesem Fall ja gar nicht so falsch war. Zum anderen schien das Mädchen keinerlei Angst vor uns Monstern zu haben. Es hatte zwar eine Fahne wie eine rheinland-pfälzische Weinkönigin, aber es schien weder betrunken zu sein noch unter Drogen zu stehen. Das konnte also nicht der Grund für ihr furchtloses Verhalten sein. Was mochte sie alles in ihrem jungen Leben gesehen haben, dass ihr Monster keine Angst einjagten? Doch das Allermerkwürdigste an alldem war: Mein zwölfjähriger Sohn brachte mitten in der Nacht ein Mädchen mit nach Hause?!?
«Whao, der hässliche Kerl ratzt ja tierisch», kommentierte das Mädchen den auf dem Sofa liegenden Frank, der mit dem Kölner Dom auf dem Bauch tatsächlich laut und scheppernd schnarchte. Aber immerhin hatte er keine Blähungen. Das war auch gut so, ich mochte nicht darüber nachdenken, wie es wohl sein mochte, wenn Frankensteins Monster unter Darmproblemen litt.
Ich fragte Max, wer dieses abgerissene Mädchen sei. Doch kaum hatte er sie vorgestellt, wurde er schon von Fee unterbrochen, die just in diesem Moment nach Hause kam. Völlig aufgewühlt schrie sie mich an: «Du bist an dem ganzen Scheiß schuld!»
Die Momente, in denen ich sie ungestraft Schnuffel nennen durfte, waren anscheinend wieder vorbei, und das machte mich für einen kurzen Augenblick wehmütig.
«Die Alte wäre gar nicht auf uns aufmerksam geworden», schimpfte sie weiter, «wenn du nicht einen auf Kernschmelze gemacht hättest!»
Meine Güte, damit hatte sie recht.
«Du bist das Allerletzte!»
Ich schluckte schwer. Wenn ich wirklich für unseren Zustand verantwortlich war, dann hatte sie vielleicht auch damit recht.
«Ich wünsche, dass du gegen die Wand läufst», erklärte Fee und blickte mir dabei in die Augen.
«Ähem, wie bitte, was?», fragte ich.
«Ich wünsche mir, dass du gegen die Wand läufst!», wiederholte sie und sah mich noch intensiver an.
Ich rannte selbstverständlich nicht gegen die Wand.
«Gacker wie ein Huhn!», forderte sie mich nun auf.
«Was soll der Blödsinn, Fee?»
Als Antwort trat sie ganz nah an mein Gesicht, wir standen fast Lippen an Bandagen, und forderte mich auf: «Mach Nordic Walking!»
War sie nun völlig übergeschnappt? Nicht, dass man das, wenn es so denn war, nicht verstehen könnte.
«Ach Scheiße!», fluchte sie. «Bei dir klappt das nicht.»
«Was klappt nicht?», wollte ich wissen. Aber Fee schwieg nur zutiefst frustriert. Ich machte mir immer mehr Sorgen um sie.
In Fees Schweigen hinein lachte Jacqueline: «Geil, ihr seid ja noch durchgeknallter als meine Familie.»
Fee nahm sie jetzt erst wahr und stellte sofort fest: «Du stinkst nach Bier.»
«Hey, pass auf, Binde», drohte Jacqueline, «oder ich mach aus dir einen Sechserpack Always Ultra!»
«Immer wieder schön, auf Menschen mit Niveau zu treffen», konterte Fee.
Das zwischen den beiden Mädchen schien nicht gerade der Anfang einer wunderbaren Freundschaft zu sein.
«Gehört die anonyme Alkoholikerin etwa zu dir?», fragte Fee ihren Bruder.
«Na ja … ähem … nun …», stammelte der, bis Jacqueline für ihn antwortete: «In der Schule tunk ich immer seinen Kopf ins Klo.»
«Stimmt das?», fragte ich Max entsetzt.
Er sah beschämt zu Boden.
Oh nein, Max wurde an der Schule von diesem Mädchen gemobbt, und ich hatte keine Ahnung davon. Genauso wenig wie davon, dass er sich als nichts Besonderes empfunden hatte. Was war ich nur für eine Mutter, die das nicht mitbekam?
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir von ganzem Herzen eine Migräne wünschte, die mich für einen Tag außer Gefecht setzt und mein Hirn ausschaltet. Aber ich bekam leider keine Migräne und musste daher weiterdenken: Sollte ich mit Max über seine Probleme reden? Oder
Weitere Kostenlose Bücher