Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler
weit wie möglich weg.
Ich stehe an einem Spitzbogenfenster im Kreuzgang. Es ist schön kühl hier, draußen taucht die Sonne alles in gleißendes Licht. Über mir spannen sich Steinbögen, die in der Mitte der Decke in einem X zusammenlaufen. Es ist ganz still. Ich stelle mir vor, wie Mönche in langen Kutten ins Gebet vertieft die Gänge entlangeilen. Es fühlt sich an, als würden sie hinter meinem Rücken vorbeihuschen. Draußen sehe ich Männer und Frauen in mittelalterlichen langen Gewändern, mit Schnabelschuhen und ausladenden Kopfbedeckungen. Würde ich die Hand ausstrecken,könnte ich sie anfassen. Ich höre eine Tür klappen, jemand sagt »Auf Wiedersehen!« und ein Radio dudelt. Ich schaue nach, woher die Geräusche kommen. Als ich mich wieder umdrehe, sind die Figuren draußen verschwunden, der Platz vor dem Kloster ist leer.
Bei uns im Ort gab es ein paar Regeln, die man beachten musste, wenn man dazugehören wollte. Zu den wichtigsten zählte, dass man sonntags in die Kirche ging und ansonsten auf gar keinen Fall aus der Reihe zu tanzen hatte. Alle, die irgendwie anders waren, hatten einen schweren Stand. Meine Großeltern väterlicherseits waren das Paradebeispiel der Dorfbewohner: Sie waren, wie es so schön heißt, »rechtschaffene Leute«, die sich in der Dorfgemeinschaft nichts zuschulden kommen ließen. Aber sie waren das Gegenteil von meiner kosmopolitischen Großmutter in Illingen, das Gegenteil von weltoffen. Die Welt, das war Zaisersweiher: ein paar schmucke Fachwerkhäuser mit Kopfsteinpflaster dazwischen. Und Punkt. Stuttgart war vierzig Kilometer entfernt, Pforzheim nur etwa zwanzig Kilometer, aber aus der Perspektive eines alteingesessenen Einwohners von Zaisersweiher befanden sich beide Städte bereits in einer anderen Galaxie.
In diesen spießigen Mikrokosmos hatte meine Mutter, diese schöne und kluge Frau, eingeheiratet. Eine Frau, die sich für Kunst, Musik und Theater interessierte. Mein Vater hatte Metzger gelernt und interessierte sich für Alkohol.
Wie mein Vater und meine Mutter überhaupt zusammenkommen konnten, ist mir ein Rätsel, und bis heute habe ich nicht in Erfahrung bringen können, wie sie sich kennengelernt haben. Ich frage mich manchmal, ob sie jemals ineinander verliebt gewesen sind. Aber am Ende ist das auch egal – es würde ja auch nichts mehr ändern.
Meine Eltern führten einen Gasthof. Kurz nach der Hochzeit hatten sie die Chance bekommen, das Haus mit der Wirtschaftim Erdgeschoss zu kaufen, das nur ein paar Meter vom Hof der Eltern meines Vaters entfernt lag. Mein Vater kümmerte sich hauptsächlich um die Schlachterei und um seinen Alkoholpegel. Das bedeutete, dass meine Mutter den Betrieb mit unseren fünf Angestellten fast alleine am Laufen hielt. Das Haus war riesig, mit Fremdenzimmern, Restaurant und jeder Menge weiteren großen Räumen, in denen ein Sammelsurium aus antiken Möbeln aller möglichen Stilrichtungen herumstand. Die Möbel stammten aus beiden Familien, aber den größeren Teil hatte Mama von meiner Großmutter mitbekommen.
Doch unser Haus war anders als das von Großmutter. Es war ein kaltes Haus. Das hatte zum einen ganz einfach damit zu tun, dass alle nicht genutzten Räume nicht geheizt wurden, denn es gab keine Zentralheizung. In jedem Raum stand zwar ein großer Ofen, der wurde aber nur dann befeuert, wenn man sich dort aufhielt.
Aber vor allem war das Haus kein Nest, in dem ich mich aufgehoben fühlte. Durch den Gasthausbetrieb übernachteten ständig fremde Leute bei uns. Und weil mein Vater am Haus die Tiere schlachtete, hing über dem Ganzen eine subtile Atmosphäre des Tötens. Vater tötete nicht nur Tiere fürs eigene Restaurant, die Leute aus dem Dorf brachten ihm auch ihre Schweine und Rinder, die sie essen oder deren Fleisch sie verkaufen wollten.
Im Dorf gab es keine Massentierhaltung, die Tiere hatten ein »artgerechtes« Leben hinter sich und mein Vater schlachtete sie mit gezielten Handgriffen in wenigen Sekunden. Wenn er etwas wirklich beherrschte, dann war es sein Handwerk. Ich glaube nicht, dass die Tiere sehr gelitten haben, und das Schlachten war für mich damals normal. Genauso, wie es normal war, Fleisch zu essen. Trotzdem: Immer, wenn ein Tier geschlachtet wurde, das ich von klein auf kannte und das einen Namen hatte, floh ich irgendwohin. Genauso, wie ich floh, wenn es wieder losging.
Ich liebte Tiere, und wir hatten einen richtigen Zoo in unserem großen Garten. Neben Enten, Gänsen, Hühnern,
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