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Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler

Titel: Harald Glööckler - Glööckler, H: Harald Glööckler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Stella Harald;Bongertz Glööckler
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deren ausgeprägten Sinn für Stil geerbt. Beide liebten das Theater, Konzerte und Museen. Beide liebten das Leben.
    Großmutter stellte ich mir immer als eine Königin aus Tausenundeiner Nacht vor. Und meine Mama war logischerweise die wunderschöne Prinzessin, und ich, ich war natürlich der Thronfolger. Irgendwann würde man schon noch herausfinden, dass wir eigentlich eine königliche Familie waren.
    Als ich Großmutter einmal von meiner Vermutung berichtete, erklärte sie zu meiner Enttäuschung, wir seien leider keine königliche Familie: Sie und Großvater hatten in den Dreißigerjahren einen Stammbaum beschaffen müssen, der bewies, dass sie tatsächlich das waren, was man bei den Nazis als »arisch« bezeichnete – also nicht mit jüdischen Menschen verwandt. Dabei, das erklärte mir Großmutter bei der Gelegenheit, waren die eigentlichen Arier Nomaden gewesen, die im Orient und in Indien gelebt hatten, vor vielen Hundert Jahren. Das waren Leute, die vermutlich eher so aussahen wie wir und nicht wie das blonde, blauäugige Nazi-Ideal. Obwohl meine Großelternbewiesen hatten, dass sie »richtig deutsch« waren, wurde getuschelt. Großmutter erzählte mir davon mit einer gehörigen Portion Verachtung.
    Sie war stolz und hasste Klatsch und Tratsch aus tiefstem Herzen. Und ich habe sie nie schlecht über jemand anderen reden hören. Einmal erzählte sie mir, wie sie zum Friseur gegangen war und die Friseuse gefragt hatte: »Sie waren doch Sonntag in der Kirche – wie predigt denn der neue Pfarrer?« Großmutter hatte geantwortet: »Gehen Sie in die Kirche, dann wissen Sie’s.«
    Draußen blitzt und donnert es. Ich nehme mir eine Banane aus der Obstschale, die mit Kiwis, Mangos, Orangen und Ananas gefüllt ist. Bei meinen Eltern gibt es meistens nur Äpfel und Birnen, vielleicht mal einen Pfirsich. Großmutter hat immer exotische Früchte. Ich frage, ob ich den Fernsehapparat einschalten darf. Sie erlaubt es. Die Kindersendung, die ich sehen will, hat noch nicht begonnen, in den Nachrichten wird gerade der Ausschnitt einer Bundestagsdebatte gezeigt. Großmutter steht neben mir und schaut auf den Bildschirm. Dann sagte sie ungewohnt heftig: »Weißt du, Harald, ich mag diese Politiker nicht. Die schreien alle nur herum. Herbert Wehner, Franz Josef Strauß, es ist ganz egal, von welcher Partei. Ich habe von dieser Brüllerei seit dem ›Dritten Reich‹ mehr als genug. Da hat man ja gesehen, wohin das geführt hat. Wer gute Argumente hat, muss nicht schreien.« Ich weiß, was sie meint. Ich mag es auch nicht, wenn jemand schreit. Überhaupt nicht. Und dann denke ich an zu Hause und daran, dass ich da nicht hin will.
    Wir wohnten in Zaisersweiher, das ist etwa acht Kilometer von Großmutters Haus in Illingen entfernt. Ich war in Zaisersweiher geboren worden, die Eltern meines Vaters hatten hier einen großen Bauernhof. Seine Familie lebte seit vielen Generationen in diesem verschlafenen Nest, das ursprünglich einmal »Ceidolfeswilare« geheißen hatte, also »der Weiler des Ceidolf«. Ich hatte im Rathaus gelesen, dass es auch einen sogenannten»Dorfadligen« gegeben hatte, der »von Zeisolf« hieß. Aber der hatte weder etwas zu sagen, noch war er mit uns verwandt. Das fand ich natürlich etwas enttäuschend.
    Zaisersweiher ist heute der Stadt Maulbronn eingemeindet und wäre nur eines von vielen hübschen, nichtssagenden Dörfern seiner Art, gäbe es nicht das Kloster: 1993 hat die UNESCO das ehemalige Zisterzienserkloster Maulbronn zum Weltkulturerbe erklärt, weil es als die am besten erhaltene mittelalterliche Klosteranlage nördlich der Alpen gilt. Allerdings wohnen darin schon lange keine Mönche mehr, sondern seit vielen Jahrzehnten sind dort das Rathaus und die Polizei untergebracht. Das hatte den Vorteil, dass man, schon als ich Kind war, ohne Probleme hineingehen konnte. Unser Haus lag nicht weit von der Klosterkirche, und ich war ganz fasziniert von dem alten Gebäudekomplex. Über die Jahrhunderte war immer einmal hier und einmal da etwas angebaut worden, zuletzt in der Spätgotik.
    Für mich war das Kloster ein magischer Ort. Ich stellte mir vor, dass die vergangenen Tage irgendwie darin gespeichert waren. In den Mauern, in den kleinen Tierfiguren aus Stein, die auf den Säulen saßen, und in den Pinselstrichen der Ornamente an den Decken. Ich habe schon seit jeher das Gefühl gehabt, eigentlich in eine andere Zeit zu gehören, in vergangene Jahrhunderte. Aber oft wollte ich auch einfach nur so

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