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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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mir zum Abschied ins Ohr. »Wenn ich dich brauchen sollte, werd ich es schon so drehen, dass wir uns sehen. Der Wächter ist misstrauisch. Wenn wir zu häufig zusammenhängen, kommt er bestimmt darauf, dass da was läuft, wird vorsichtig, und damit wären mir die Hände gebunden. Noch eins: Falls er fragen sollte, wie’s gelaufen ist, tust du so, als hättest du dich mit mir nicht mehr so recht verstanden, klar?«
    »Geht in Ordnung«, sage ich.

    »Na, wie war’s?«, fragt der Wächter, als ich in die Hütte zurückkomme. »War doch bestimmt nett, seinen Schatten nach so langer Zeit mal wiederzusehen, oder?«
    »Ich weiß nicht recht«, sage ich und schüttele zweifelnd den Kopf.
    »Tja, so ist das nun mal«, sagt der Wächter zufrieden.

25  HARD-BOILED WONDERLAND
DIE MAHLZEIT, DIE ELEFANTENFABRIK, DIE FALLE
    Verglichen mit der Spiraltreppe war der Aufstieg per Seil geradezu bequem. Alle dreißig Zentimeter kam ein gut geknüpfter Knoten, und auch das Seil selbst lag gut in der Hand. Ich packte es mit beiden Händen, schaukelte ein wenig hin und her und zog mich, den Schwung ausnutzend, Stück für Stück nach oben. Ich kam mir vor wie im Zirkus. Freilich versieht man dort die Seile nicht mit Knoten. Das Publikum nähme die Nummer sonst nicht ernst.
    Ab und zu schaute ich nach oben, konnte aber die Entfernung nicht abschätzen, da mich das direkt nach unten gerichtete Licht blendete. Das Mädchen behielt mich die ganze Zeit im Auge; wahrscheinlich machte es sich Sorgen. In der Bauchwunde pulsierte wieder dumpfer Schmerz. Außerdem hatte ich immer noch Kopfschmerzen von dem Sturz. Nicht so starke, dass sie den Aufstieg unmöglich gemacht hätten, aber doch Schmerzen.
    Mit jedem erstiegenen Knoten tauchte mich die Lampe des Mädchens in helleres Licht. Das war gut gemeint, kam mir aber ganz und gar ungelegen. Ich hatte mich darauf eingestellt, im Dunkeln hochzuklettern, und verlor nun im Licht meinen Rhythmus, glitt sogar mehrfach mit den Füßen ab. Es war einfach nicht möglich, die korrekte räumliche Distanz zwischen Hell und Dunkel festzustellen. Die hellen Stellen wirkten überaus konvex, die dunklen überaus konkav. Und das Licht blendete. Der Körper stellt sich wirklich schnell um. Dass die Schwärzlinge sich der unterirdischen Dunkelheit angepasst hatten, in der sie seit ewigen Zeiten lebten, war kein Wunder.
    Nach sechzig oder siebzig Knoten kam ich an einer Art Gipfel an. Wie ein Schwimmer, der aus dem Becken klettert, stützte ich die Hände an der Felskante auf und zog mich hoch. Dazu brauchte ich einige Zeit, denn ich hatte kaum noch Kraft in den Armen. Als wäre ich ein oder zwei Kilometer gekrault. Die Kleine half nach, indem sie mich am Gürtel zog.
    »Das war knapp«, sagte sie. »Ein paar Minuten später, und es hätte uns erwischt.«
    »Großartig«, sagte ich, streckte mich auf dem flachen Felsen der Länge nach hin und atmete tief durch. »Wie hoch ist das Wasser denn gestiegen?«
    Sie legte die Lampe auf den Boden und holte das Seil ein. Beim dreißigsten Knoten drückte sie es mir in die Hand. Es war durchnässt. Das Wasser stand ziemlich hoch. Hätten wir das Seil ein paar Minuten später erreicht, wäre es in der Tat knapp geworden.
    »Hast du inzwischen deinen Großvater entdeckt?«, fragte ich.
    »Natürlich«, sagte sie. »Er ist hinten im Altar. Er hat sich allerdings den Fuß verstaucht. Er ist unterwegs in ein Loch getreten und hängen geblieben.«
    »Und hat sich dann mit dem verstauchten Fuß bis hierher geschleppt?«
    »In unserer Familie sind alle sehr robust.«
    »Sieht so aus«, sagte ich. Ich hatte gedacht, ich wäre robust, aber denen konnte ich nicht das Wasser reichen.
    »Gehn wir. Großvater wartet. Er hat dir allerhand zu erzählen, sagt er.«
    »Ich ihm auch.«
    Ich schulterte wieder meinen Rucksack und ließ mich von dem Mädchen zum Altar führen, der allerdings nichts weiter als eine Höhle in der Felswand war. Sie war geräumig wie ein großes Zimmer. In einer Nische stand eine Gaslampe, die schummeriges gelbes Licht verbreitete. Die Unebenheiten im Felsen warfen unzählige bizarre Schatten. Der Professor saß neben der Lampe, in eine Decke gehüllt. Sein Gesicht lag halb im Schatten. Es sah so aus, als lägen die Augen tief in den Höhlen, doch in Wirklichkeit war der Mann quicklebendig und munter.
    »Na, das scheint ja wirklich knapp gewesen zu sein«, sagte er heiter. »Dass das Wasser kommen würde, wusste ich, hatte aber damit gerechnet, euch früher hier zu

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