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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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keinerlei Probleme auf. Der dritte Schaltkreis ist aber von mir ediert worden, sodass bei dessen Benutzung mit Sicherheit Abweichungen zu erwarten sind. Und diese Abweichungen sollten bei Ihnen irgendwelche Reaktionen hervorrufen. Diese Reaktionen wollte ich messen. Die Ergebnisse hätten Sie in die Lage versetzen sollen, die Stärke, das Wesen und die Bedingtheiten der in Ihrem Bewusstsein versiegelten Dinge besser abschätzen zu können.«
    »Hätten versetzen sollen?«
    »Genau. Hätten. Sollen. Das ist jetzt alles vorbei. Die Semioten haben sich mit den Schwärzlingen zusammengetan und mein Labor verwüstet. Alle Unterlagen sind weg. Ich bin, nachdem die Kerle verschwunden waren, noch einmal ins Labor zurück, um mich zu vergewissern. Von den wirklich wichtigen Unterlagen war nichts mehr da, rein nichts. So kann ich die Abweichungen unmöglich bestimmen. Die Kerle haben sogar die visualisierten Black Boxes mitgehen lassen.«
    »Was hat das alles mit dem Ende der Welt zu tun?«, fragte ich.
    »Genau gesagt, ist es nicht das Ende unserer Welt, der Welt, die wir kennen. Es ist das Ende der Welt in jemand.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte ich.
    »Es geht, mit einem Wort, um Ihren Psychokern. Sie haben in Ihrem Bewusstsein das Ende der Welt entworfen. Warum Sie so etwas in Ihre Psyche eingraviert haben, weiß ich nicht. Jedenfalls ist es so. In Ihrem Kopf geht die Welt zu Ende. Anders herum ausgedrückt, lebt Ihr Bewusstsein im Ende der Welt. In dieser Welt fehlt beinahe alles, was unsere Welt auszeichnet. Es gibt weder Zeit noch sich ausdehnenden Raum, es gibt weder Leben noch Tod, es gibt keine echten Werte und kein echtes Ich. Die Identität der Menschen wird dort von Tieren kontrolliert.«
    »Von Tieren?«
    »Von Einhörnern«, sagte der Professor. »In Ihrer Stadt gibt es Einhörner.«
    »Haben die etwas mit dem Einhornschädel zu tun, den Sie mir geschickt haben?«
    »Das ist eine von mir angefertigte Nachbildung. Sehr gelungen, fanden Sie nicht? Ich habe sie nach Ihren visuellen Vorstellungen gestaltet, das war ziemlich mühsam. Der Schädel hat keine eigentliche Bedeutung, ich habe ihn aus rein anatomischem Interesse gebastelt. Ein Geschenk für Sie.«
    »Moment mal, langsam«, sagte ich. »In meinem Unterbewusstsein existiert so eine Welt, gut, das habe ich verstanden. Sie haben diese Welt etwas klarer herausgearbeitet und als dritten Schaltkreis in mein Gehirn implantiert. Dann haben Sie ihn per Kodewort aufgerufen, mit meinem Bewusstsein bestückt und mich shuffeln lassen. Ist das so weit richtig?«
    »Völlig richtig.«
    »Nach der Beendigung des Shuffling schloss sich der Schaltkreis automatisch, und mein Bewusstsein kehrte zum ursprünglichen ersten Schaltkreis zurück.«
    »Falsch«, sagte der Professor und kratzte sich den Hinterkopf. »Dann wäre alles kein Problem. Aber der dritte Schaltkreis schließt sich nicht automatisch.«
    »Er steht also ständig offen?«
    »So könnte man sagen, ja.«
    »Aber ich denke und handle jetzt doch nach dem ersten Schaltkreis!«
    »Weil der zweite verstöpselt ist. Schauen Sie, im Diagramm sieht das folgendermaßen aus«, sagte der Professor, zog Notizblock und Kugelschreiber aus der Tasche, malte ein Diagramm auf und gab es mir.

    »Das ist Ihr Normalzustand. Weiche A liegt an Input 1, Weiche B an Input 2. Zurzeit sieht die Sache aber so aus.« Der Professor zeichnete ein neues Diagramm.

    »Sehen Sie? Weiche B liegt am dritten Schaltkreis, sodass Weiche A automatisch auf Input 1 schaltet. Deshalb können Sie nach Schaltkreis 1 denken und handeln. Das geht jedoch nur temporär. Die Weiche B muss schleunigst auf Schaltkreis 2 umgestellt werden. Schaltkreis 3 sind nämlich nicht hundertprozentig Sie. Wenn man nichts unternimmt, brennt Weiche B aufgrund der entstehenden Aberrationsenergie durch, Sie bleiben permanent im dritten Schaltkreis, dessen Ströme Weiche A auf Punkt 2 ziehen und diese Weiche dann ebenfalls durchbrennen lassen. Um das zu vermeiden, müsste man die Aberrationsenergie messen und den Urzustand wieder herstellen.«
    »Müsste man?«
    »Ich kann es nicht mehr. Wie ich eben sagte: Die Idioten haben mein Labor zerstört und alle wichtigen Unterlagen mitgenommen. Es tut mir wirklich leid, aber ich kann Ihnen nicht mehr helfen.«
    »Heißt das«, sagte ich, »dass ich auf ewig in den dritten Schaltkreis eingeschlossen sein werde, dass ich nie mehr zurück kann?«
    »So ist es. Sie werden im Ende der Welt leben. Es tut mir leid.«
    »Es tut Ihnen

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