Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
majestätisch gen Himmel wie immer.
In Dreier- oder Vierergruppen wandern die Tiere über die Raine zwischen den Feldern, ziehen von einem kargen Sträuchlein zum nächsten. Doch Beeren, Nüsse oder zarte grüne Blätter, die sich als Futter eignen würden, sind kaum noch zu sehen. An den höheren Ästen der Bäume hängen noch ein paar Früchte, an die die Tiere jedoch nicht heranreichen können – also suchen sie darunter vergebens nach herabgefallenen Früchten oder schauen traurig hoch zu den Vögeln, die oben daran picken.
»Warum fressen die Tiere denn nicht das, was noch auf den Feldern steht?«, frage ich sie.
»Weil es ein Verstoß gegen die Vorschrift wäre.Warum, weiß ich auch nicht«, sagt sie. »Niemals würden die Tiere etwas anrühren, was für die Menschen bestimmt ist. Es sei denn, wir füttern sie damit, dann fressen sie es natürlich, aber sonst niemals!«
Einige Tiere kauern mit eingeschlagenen Vorderläufen am Ufer vor einem Becken im Fluss und trinken. Auch als wir ganz nah daran vorbeigehen, hebt keines von ihnen den Kopf. Alle trinken weiter. Ihre weißen Hörner, die sich klar und deutlich auf dem Wasser spiegeln, sehen aus wie auf den Grund des Flusses gesunkene bleiche Knochen.
Nach knapp dreißig Minuten finden wir kurz hinter der Ostbrücke rechter Hand den kleinen Weg, von dem der Wächter gesprochen hat. Wären wir unter normalen Umständen hier vorbeispaziert, wir hätten ihn glatt übersehen, so schmal und eng ist er. Äcker gibt es hier nicht mehr; zu beiden Seiten des Weges wächst nur hohes Gras. Wie eine Grenze zieht sich diese Wiese zwischen Ostwald und den Feldern.
Wir folgen dem Pfad durch die Wiese; erst geht es ein wenig bergan, dann wird es immer steiler und das Gras immer dünner. Die Steigung wird zur Böschung und schließlich zu einem felsigen Berghang. Berghang ist vielleicht zu viel gesagt, denn wir müssen natürlich keine unwegsame Felswand erklimmen, man hat ordentliche Stufen hineingehauen. Es ist relativ weicher Sandstein, die Stufen sind an den Kanten ausgetreten. Nach ungefähr zehn Minuten erreichen wir den Gipfel. Insgesamt scheint die Anhöhe ein klein wenig niedriger zu sein als der Westhügel, auf dem ich wohne.
Die Südseite des Hügels ist ganz anders als seine Nordseite: Hier geht es sanft bergab über eine weite, verdorrte Wiese; wie die tiefe See erstreckt sich dahinter der finstere Ostwald.
Wir setzen uns an diesem höchsten Punkt eine Weile hin, um Luft zu schöpfen und uns die Landschaft anzuschauen. Von Osten her vermittelt die Stadt einen völlig anderen Eindruck. Der Fluss wirkt erstaunlich gerade, wie ein künstlich angelegter Kanal; nicht eine einzige Sandbank ist zu sehen, und das Wasser fließt schnurstracks geradeaus. Am gegenüberliegenden Ufer beginnt das nördliche Sumpfgebiet. Rechts davon frisst sich der Ostwald wie ein Fremdkörper in die Landschaft, durchschnitten vom Fluss. Diesseits des Flusses sind linker Hand die Felder zu sehen, an denen vorbei wir hierher gewandert sind. Weit und breit nicht die Spur eines menschlichen Anwesens, und sogar die Ostbrücke wirkt öde und leer. Strengt man die Augen an, kann man das Arbeiterviertel und den Uhrturm ausmachen, die unwirklich wirken wie eine weit, weit entfernte Fata Morgana.
Nach der kleinen Pause steigen wir die Anhöhe herab und gehen auf den Wald zu. Kurz vor dem Wald liegt ein Teich, so seicht, dass man auf den Grund sehen kann. Aus seiner Mitte ragt noch der abgestorbene, knochenfarbig verwitterte Stumpf eines riesigen Baumes, auf dem sich zwei weiße Vögel niedergelassen haben, die zu uns herüberstarren. Der Schnee ist so hart gefroren, dass wir keine Spuren hinterlassen. Der lange Winter hat die Stimmung im Wald vollkommen verwandelt. Es gibt keine Insekten mehr, auch kein Vogelgezwitscher. Nur die riesigen Bäume recken sich dem düster bewölkten Himmel entgegen und ziehen ihre Lebenskraft aus den Tiefen der Erde, wo der Frost nichts ausrichten kann.
Wir folgen dem Weg in den Wald hinein, als plötzlich ein seltsames Geräusch an unser Ohr dringt, das dem Rauschen des Windes im Wald ähnelt. Es weht aber kein Wind, zumindest gibt es absolut keine Anzeichen dafür, ganz abgesehen davon, dass der Laut viel zu monoton ist dafür, es fehlen die Höhenunterschiede. Der Ton wird lauter und deutlicher, je weiter wir in den Wald kommen, doch wir haben beide keine Ahnung, was es sein könnte. Die Bibliothekarin ist schließlich auch zum ersten Mal hier.
Eine alte Eiche
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