Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
Todesumstände und legte mir die Autopsieergebnisse vor. Die acht waren, wie ich eben sagte, alle auf die gleiche Weise ums Leben gekommen, die Ursache war unklar. Weder die Körper noch die Gehirne zeigten Spuren von Gewalteinwirkung, ganz ruhig hatte die Atmung ausgesetzt. Als wären sie eingeschläfert worden. Auch auf den Gesichtern konnte man keinerlei Spuren eines Kampfes entdecken.«
»Haben Sie die Todesursache bestimmen können?«
»Nein. Natürlich kann man dies und das vermuten und Hypothesen aufstellen. Wenn nacheinander acht für das Shuffling konditionierte Kalkulatoren wegsterben, lässt sich das nicht als bloßer Zufall abtun. Man muss Maßnahmen ergreifen. Das ist die Pflicht des Wissenschaftlers. Meine Vermutungen waren die folgenden: Entweder hatte eine funktionelle Lockerung oder Ausschaltung oder Zerstörung der implantierten Weiche das zerebrale System zersetzt, die Gehirnfunktionen konnten die frei gewordenen Energien nicht tolerieren. Oder aber das Implantat war in Ordnung – dann musste ein grundlegendes Problem hinsichtlich der beim Shuffling notwendigen, wenn auch nur kurzfristigen Freisetzung des Psychokerns vorliegen, eine Freisetzung, die das menschliche Gehirn nur schwer aushalten kann.« Der Professor zog sich die Decke bis unters Kinn und fuhr nach einer kleinen Pause fort: »So weit meine Vermutungen. Es muss nicht so sein, doch wenn man die gesamte Situation überdenkt, kommen diese beiden denkbaren Ursachen, vielleicht auch beide zusammen, am ehesten in Frage.«
»Hat denn die Autopsie der Gehirne nichts ergeben?«
»Das Gehirn ist kein Toaster oder Waschvollautomat. Man sieht keine Leitungen, man sieht keine Schalter. Was sich ändert, ist lediglich der nicht sichtbare Verlauf von Gehirnströmen, eine postmortale Untersuchung der Weichen hat überhaupt keinen Sinn. Am lebenden Hirn lassen sich Störungen verfolgen, ja, am toten nicht. Zu sehen sind nur Verletzungen oder Tumore. Aber es gab keine. Das war alles völlig in Ordnung.
Deshalb haben wir von den noch lebenden Versuchspersonen zehn ins Labor bestellt und einer erneuten Untersuchung unterzogen. Wir haben Enzephalogramme erstellt, haben zwischen den Denkstrukturen hin und her geschaltet, um sicherzugehen, dass die Weichen richtig arbeiten. Wir haben ausführliche Gespräche geführt, haben gefragt, ob physische oder psychische Beschwerden vorliegen, Hörprobleme, Halluzinationen – nichts. Nichts, was von Belang gewesen wäre. Alle waren kerngesund, alle shuffelten auch ohne Probleme. Wir nahmen deshalb an, dass bei den verstorbenen acht Kalkulatoren ein inhärenter zerebraler Defekt vorgelegen haben müsse, dass sie fürs Shuffling nicht geeignet gewesen seien. Was für ein Defekt, war zwar nicht klar, aber das lasse sich gewiss erforschen, es genüge, diesen Punkt bis zur Präparierung der zweiten Shuffler-Generation zu klären.
Das erwies sich als Fehler. Im Monat darauf starben nämlich wieder fünf, darunter drei von denen, die wir eingehend untersucht hatten. Es starben Leute, die wir nach allen Regeln der Kunst untersucht und als völlig in Ordnung eingestuft hatten. Das war ein Schock. Die Hälfte der sechsundzwanzig Probanden war tot, ohne dass die Todesursache geklärt werden konnte. Das war keine Frage mehr von Eignung oder Nicht-Eignung, hier lag ein substanzielles Problem vor. Mit anderen Worten: Das Umschalten zwischen zwei verschiedenen Psychostrukturen erwies sich für das Gehirn von vornherein als Ding der Unmöglichkeit. Ich empfahl also dem System, das Projekt einzufrieren. Das Shuffling sollte eingestellt und bei den Überlebenden die Implantate entfernt werden. Andernfalls müsste mit dem Tod aller sechsundzwanzig gerechnet werden. Das System meinte jedoch, das sei unmöglich. Es wies meinen Vorschlag zurück.«
»Weshalb?«
»Das Shuffling-System funktionierte ausgezeichnet, es mit einem Mal ganz zu kappen sei aus praktischen Gründen ausgeschlossen. Alles würde lahm gelegt. Ferner stehe keineswegs fest, dass alle sechsundzwanzig sterben würden, und wenn jemand überleben würde, gäbe er hervorragendes Material ab für die weitere Forschung. Daraufhin bin ich ausgestiegen.«
»Und ich als Einziger habe überlebt.«
»So ist es.«
Ich lehnte den Kopf an den Fels hinter mir, starrte die Decke an und rieb mir mit der Hand über die Bartstoppeln. Wann hatte ich mich das letzte Mal rasiert? Ich wusste es nicht mehr. Ich musste scheußlich aussehen.
»Weshalb bin denn ich nicht
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