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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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gestorben?«
    »Auch dafür habe ich nur eine Hypothese«, sagte der Professor. »Eine auf Hypothesen aufgebaute Hypothese. Doch meine Intuition sagt mir, dass ich damit nicht so weit daneben liege. Wahrscheinlich verhält es sich so, dass Sie schon immer eine doppelte Denkstruktur eingesetzt haben. Unbewusst natürlich. Unbewusst und ganz automatisch haben Sie Ihre Persönlichkeitsstruktur geteilt. Um mein Bild von eben noch einmal zu benutzen: Sie hatten schon immer eine Uhr in der linken und eine Uhr in der rechten Hosentasche, die Weiche war vorgegeben, deshalb waren Sie psychisch immun. Das ist meine Hypothese.«
    »Gibt es Indizien dafür?«
    »Die gibt es. In den vergangenen zwei, drei Monaten habe ich mir noch einmal alle sechsundzwanzig visualisierten Black Boxes, sprich Denkstrukturen, angesehen. Dabei ist mir aufgefallen, dass Ihre am klarsten strukturiert ist, keine Brüche aufweist, einen durchgehenden roten Faden besitzt. Mit einem Wort: Sie ist perfekt. Sie ginge ohne weiteres als Roman durch oder als Film. Bei den anderen fünfundzwanzig ist das keineswegs der Fall. Alles ist chaotisch, dunkel, fragmentarisch, auch ediert zusammenhanglos, rätselhaft. Kaum mehr als eine Aneinanderreihung von Träumen. Ihre Black Box ist völlig anders. Sie unterscheidet sich wie das Bild eines professionellen Kunstmalers von Kinderzeichnungen.
    Ich habe hin und her überlegt, warum das so ist, und glaube, dass es nur einen Schluss gibt: Sie haben selbst eingegriffen und gestaltet. Deshalb findet sich in der Anhäufung von Bildern diese überaus klare Struktur. Um noch einmal ein Bild zu benutzen: Sie sind in die Elefantenfabrik in Ihrem Unterbewusstsein hinabgestiegen und haben selbst einen Elefanten geschaffen. Ohne es zu wissen natürlich.«
    »Das kann ich nicht glauben«, sagte ich. »Wie soll das möglich sein?«
    »Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle«, sagte der Professor. »Kindheitserfahrungen, familiäre Umgebung, Überobjektivierung des Ich, Schuldbewusstsein … In Ihrem Falle vor allem die Neigung zu extremer Selbstabschottung. Stimmt das nicht?«
    »Doch, vielleicht«, sagte ich. »Was wird denn nun, vorausgesetzt, das alles trifft zu?«
    »Nichts wird. Sie könnten, wenn man Sie in Ruhe ließe, steinalt werden. Aber es spricht einiges dagegen, dass man Sie in Ruhe lässt. Sie haben, ob Ihnen das passt oder nicht, in diesem lächerlichen Datenkrieg eine Schlüsselstellung inne. Das System wird binnen kurzem ein Folgeprojekt anleiern, mit Ihnen als Modell. Man wird Sie gründlichst analysieren, praktisch von Kopf bis Fuß auseinander nehmen. Was man konkret machen wird, weiß ich nicht. Aber es wird Ihnen wenig Spaß machen, so viel weiß ich, auch wenn ich ein bisschen weltfremd bin. Ich wollte Ihnen helfen, irgendwie.«
    »Großartig«, sagte ich. »Sie werden bei diesem Folgeprojekt nicht mitmachen?«
    »Wie ich schon ein paar Mal gesagt habe: Meine Studien zu verhökern liegt mir nicht. Außerdem will ich mich nicht an einem Projekt beteiligen, bei dem man nicht weiß, wie viele Menschen es das Leben kosten kann. Ich habe bei der Sache auch einiges gelernt. Mir ist das alles zu viel geworden, deshalb habe ich mein unterirdisches Labor eingerichtet und meide den Umgang mit Menschen. Wenn es nur das System wäre, das ginge noch an, aber jetzt wollen mich auch die Semioten noch einspannen. Diese gigantischen Organisationen liegen mir einfach nicht. Denen ist das Hemd immer näher als der Rock.«
    »Warum haben Sie sich denn meinetwegen so viel Mühe gemacht? Warum haben Sie mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu sich bestellt und Berechnungen anstellen lassen?«
    »Ich wollte, bevor das System oder die Semioten Sie schnappen und auf den Kopf stellen, meine Hypothese überprüfen. Wenn ich sie belegen könnte, kämen Sie vielleicht ungeschoren davon. In dem Zahlenmaterial, das ich Sie habe berechnen lassen, befand sich der verschlüsselte Kode zur Aktualisierung des dritten Schaltkreises. Sie haben, mit anderen Worten, nach dem Umschalten zur zweiten Psychostruktur einen weiteren Hebel umgelegt und die Berechnungen im dritten System durchgeführt.«
    »Das dritte System ist das von Ihnen visualisierte und edierte System, nicht wahr?«
    »Exakt«, nickte der Professor.
    »Wieso hilft Ihnen das bei der Verifizierung Ihrer Hypothese?«
    »Es geht um Abweichungen«, sagte der Professor. »Unbewusst haben Sie Ihren Psychokern richtig erfasst. Deshalb treten bei Einsatz der Zweitstruktur

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