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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ein bisschen das System manipulieren. Ich wollte wenigstens eine Funktion installieren, von der das System nichts wusste.«
    »Das war Ihr einziger Grund?«, sagte ich. »Deshalb haben Sie in unseren Köpfen so eben mal ein paar Gleise für Ihre elektronische Eisenbahn verlegt?«
    »So können Sie das sehen, und ich schäme mich dafür. Ich schäme mich bodenlos. Aber die wissenschaftliche Neugierde, ich weiß nicht, ob Sie das verstehen, lässt sich nicht so einfach unterdrücken. Natürlich verachte auch ich die zahlreichen Experimente und Vivisektionen, die mit den Nazis kollaborierende Somatologen in den Konzentrationslagern durchgeführt haben, doch zugleich frage ich mich im Grunde meines Herzens, warum man diese Experimente, wenn man sie schon durchführte, nicht geschickter und wirkungsvoller gestaltet hat. Wissenschaftler, deren Gegenstand der menschliche Körper ist, denken im Grunde alle so. Außerdem habe ich mit meiner Arbeit nie menschliches Leben gefährdet. Ich habe lediglich aus zwei drei gemacht. Ich habe den Stromkreis ein wenig verändert, dabei ist aber für das Gehirn keine Mehrbelastung entstanden. Ich habe mit den vorhandenen Alphabetbausteinen ein neues Wort buchstabiert, weiter nichts.«
    »Außer mir sind alle Shuffling-Kandidaten gestorben. Weshalb?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte der Professor. »Von den sechsundzwanzig für das Shuffling-System präparierten Kalkulatoren sind fünfundzwanzig gestorben, das stimmt. Und alle auf die gleiche Weise, wie nach Schablone. Sie gingen zu Bett, schliefen ein und wachten nicht wieder auf.«
    »Das könnte mir also auch noch blühen?«, sagte ich. »Ich schlafe ein, und morgen bin ich tot?«
    »So einfach liegen die Dinge nicht«, sagte der Professor und bewegte sich in seiner Decke unruhig hin und her. »Die Todeszeitpunkte konzentrieren sich auf ein halbes Jahr. Zwischen dem vierzehnten und zwanzigsten Monat nach der Shuffling-Präparation. Alle fünfundzwanzig starben in diesem halben Jahr. Sie dagegen können noch immer ohne Schaden shuffeln, jetzt, nach neununddreißig Monaten noch. Das heißt: Sie müssen über eine besondere Veranlagung verfügen, die den anderen nicht eigen war.«
    »Was meinen Sie damit, in welcher Hinsicht besonders?«
    »Warten Sie, langsam. Sagen Sie, sind bei Ihnen nach der Präparierung vielleicht merkwürdige Symptome aufgetreten? Halluzinationen, Ohrensausen, Ohnmachtsanfälle, so etwas?«
    »Nein«, sagte ich. »Nichts dergleichen. Ich meine nur, seitdem viel empfindlicher auf bestimmte Gerüche zu reagieren. Meistens auf solche von Früchten.«
    »Das war bei allen so. Das Aroma bestimmter Früchte wirkt sich auf das Schaltimplantat aus. Warum, weiß ich nicht, aber es ist so. Ohnmachtsanfälle, Hörprobleme oder Halluzinationen hatten Sie aber nicht deshalb?«
    »Nein«, antwortete ich.
    »Aha.« Der Professor dachte eine Weile nach. »Haben Sie sonst etwas bemerkt?«
    »Es ist mir eben erst aufgefallen, aber ich meine, dass verschüttete Erinnerungen wieder auftauchen. Zuerst waren es nur Bruchstücke, die mir nicht allzu viel sagten, doch gerade eben sind sie ganz deutlich gewesen und haben länger angehalten. Der Auslöser war zweifellos das Tosen des Wassers. Aber Halluzinationen sind das nicht. Es sind Erinnerungen. Eindeutig.«
    »Nein, das sind keine Erinnerungen«, beschied mich der Professor. »Sie mögen Ihnen wie Erinnerungen vorkommen, aber es sind von Ihnen selbst produzierte künstliche Brücken. Zwischen Ihrer ureigenen Persönlichkeitsstruktur und dem von mir edierten Bewusstsein treten selbstredend Abweichungen auf; die versuchen Sie zu überbrücken, quasi zur Legitimierung Ihrer Existenz.«
    »Das verstehe ich nicht. Das ist mir bisher noch nie passiert. Warum gerade jetzt?«
    »Weil ich die Weichen umgelegt und den dritten Schaltkreis freigegeben habe«, sagte der Professor. »Doch gehen wir chronologisch vor. So lässt sich besser erzählen, und auch für Sie wird die Geschichte verständlicher.«
    Ich zog den Whiskey heraus und nahm noch einen Schluck. Garantiert kam wieder etwas Furchtbares.
    »Nach dem Tod der ersten acht Kalkulatoren wurde ich zum System zitiert. Ich sollte die Todesursache bestimmen. Offen gesagt, wollte ich eigentlich mit dem System nichts mehr zu tun haben, doch schließlich stammte die Technik von mir, und da es um Menschenleben ging, konnte ich die Sache nicht einfach abtun. Ich ging also zunächst einmal hin, um mich informieren zu lassen. Man beschrieb mir die

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