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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ich im Winter immer ganz allein.«
    »Wollen wir nicht zusammen zu Mittag essen, was meinen Sie?«, sagt die Bibliothekarin. »Wir haben Butterbrote und Obst mitgebracht, viel zu viel für uns beide. Wie wär’s, möchten Sie?«
    »Ach, das ist nett, vielen Dank!«, sagt der Verwalter. »Ich habe schon lange nichts mehr gegessen, was jemand anders zubereitet hat. Es ist auch noch etwas Suppe da, aus frischen Waldpilzen. Möchten Sie einen Teller?«
    »Ja, gerne!«, sage ich.
    Wir essen also zu dritt die Pilzsuppe und die Brote, die die Bibliothekarin geschmiert hat. Zum Nachtisch gibt es Obst mit Tee. Während des Essens reden wir kaum. Wie kristallklares Wasser stürzt das Brausen des Windes in das stille Zimmer und begräbt das Schweigen. Sogar das Klirren von Besteck und Geschirr klingt vor dieser Geräuschkulisse irgendwie unecht.
    »Verlassen Sie den Wald denn nie?«, frage ich den Verwalter.
    »Nein«, sagt er leise und schüttelt den Kopf. »Das ist Vorschrift so. Ich soll hier bleiben und das Kraftwerk in Ordnung halten, das ist meine Arbeit. Vielleicht kommt mich irgendwann einmal jemand ablösen. Wann das sein wird, weiß ich nicht, aber dann werde ich jedenfalls den Wald verlassen und in die Stadt zurückkehren können. Doch bis dahin geht das nicht. Ich darf nicht einen Schritt aus dem Wald tun. Ich muss auf den Wind warten, der alle drei Tage hochkommt.«
    Ich nicke und trinke meinen Tee aus. Es kann noch nicht sehr lange her sein, dass der Wind zu wehen begonnen hat, und er wird wohl noch zwei bis zweieinhalb Stunden so weiterbrausen. Muss eine ziemlich einsame Sache sein, so ganz allein mitten im Wald in dem leeren Kraftwerk zu sitzen und dauernd diesen Lärm anhören zu müssen, stelle ich mir vor.
    »Aber Sie sind doch bestimmt nicht einzig und allein hierher gekommen, um sich das Kraftwerk anzusehen, oder?«, fragt mich der junge Mann. »Wie gesagt, die Leute aus der Stadt interessiert das normalerweise nicht.«
    »Wir suchen ein Musikinstrument«, sage ich. »Mir wurde gesagt, ich soll Sie fragen, Sie wüssten schon, wo welche zu finden sind.«
    Er nickt ein paar Mal und starrt eine Weile auf die Gabel und das Messer, mit denen er seinen Teller kunstvoll dekoriert hat. »Wenn Sie Musikinstrumente suchen, sind Sie bei mir richtig. Ich habe eine Menge davon, aber sie sind alt, und ob sie funktionieren, weiß ich nicht. Aber nehmen Sie ruhig alle mit, die noch zu gebrauchen sind. Ich kann ohnehin nicht damit umgehen. Ich seh sie mir bloß an, wie sie so dastehen. Möchten Sie sie mal sehen?«
    »Ja, gerne, wenn Sie gestatten«, sage ich.
    Er schiebt den Stuhl zurück und steht auf, ich folge seinem Beispiel.
    »Kommen Sie mit. Die Instrumente sind in meinem Schlafzimmer«, sagt er.
    »Ich bleibe hier, räume das Geschirr ab und schütte uns schon mal einen Kaffee auf«, sagt die Bibliothekarin.
    Der Verwalter macht die Tür zum Schlafzimmer auf, knipst das Licht an und lässt mich eintreten.
    »Da sind sie«, sagt er.
    An der Wand stehen alle möglichen Musikinstrumente, so alt, dass man sie getrost als antik bezeichnen könnte, größtenteils Saiteninstrumente. Mandolinen, Gitarren, Cellos, eine kleine Harfe und so weiter. Die Saiten sind entweder verrostet, gerissen oder fehlen völlig. Dafür in der Stadt Ersatzteile zu finden kann ich mir wohl aus dem Kopf schlagen.
    Einige sind darunter, die ich noch nie gesehen habe. Zum Beispiel eines aus Holz mit einem waschbrettartigen Klangkörper, an dem eine Reihe fingernagelförmiger Metallvorsprünge angebracht sind. Ich nehme es in die Hand und versuche zu spielen – vergebens, nicht einen einzigen Ton kann ich ihm entringen. Ein anderes Instrument besteht aus einer Reihe kleiner Trommeln, wofür sogar spezielle Stöcke bereitliegen, doch es ist mir schlichtweg unmöglich, damit eine Melodie zustande zu bekommen. Auch ein riesiges, fagottähnliches Blasinstrument ist darunter, das aber nicht den Eindruck macht, als ob ich damit umgehen könnte.
    Der Verwalter setzt sich auf sein kleines Bett aus Holz und sieht mir zu, wie ich ein Instrument nach dem anderen untersuche. Das Bett ist ordentlich gemacht, Bezug und Kissen sind sauber.
    »Ist was Brauchbares dabei?«, fragt er unvermittelt.
    »Tja, ich weiß nicht recht«, antworte ich. »Ziemlich alt alle, aber ich werde mein Bestes versuchen.«
    Daraufhin steht er auf, geht zur Tür, schließt sie und kommt wieder zurück. Das Schlafzimmer hat kein Fenster, der Wind ist jetzt nicht mehr so laut zu

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