Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
Hier kommt keiner her. Dank Ihnen habe ich ja jetzt ein paar Lebensmittel. Ich esse nicht viel, damit komme ich drei, vier Tage über die Runden«, sagte der Professor.
»Gehen Sie nur. Um mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«
»Was ist mit den Signalgeräten? Man braucht beide für den Weg, Ihnen bleibt dann keins!«
»Nehmen Sie meine Enkelin mit«, sagte der Professor. »Sie kann dann wieder zurückkommen und mich abholen.«
»In Ordnung«, sagte das Mädchen.
»Und wenn ihr etwas zustößt? Wenn die Schwärzlinge sie schnappen, was dann?«
»Die schnappen mich nicht«, sagte das Mädchen.
»Keine Sorge«, sagte der Professor. »Sie ist für ihr Alter sehr robust. Ich vertraue ihr. Außerdem ist es nicht so, dass ich im Notfall hilflos wäre. Mit einer Batterie, Wasser und dünnen Metallstückchen lässt sich ein provisorisches Abschreckungsgerät basteln. Primitiv zwar und nicht ganz so wirksam, aber ich kenne mich hier unten aus, ich kann die Biester damit in Schach halten. Auf dem Weg hierher habe ich doch Metallstückchen verstreut, nicht wahr, Sie haben sie gesehen? Die Schwärzlinge hassen sie. Wirken aber nur fünfzehn, zwanzig Minuten.«
»Meinen Sie mit Metallstückchen die Büroklammern?«, fragte ich.
»Ganz recht. Büroklammern eignen sich vorzüglich. Sie sind billig, nehmen keinen Platz weg, laden sich leicht magnetisch auf und sind formbar; man kann sie sich als Kette um den Hals hängen. Büroklammern sind einfach am besten.«
Ich griff in die Seitentasche meiner Windjacke und gab dem Professor eine Hand voll. »Genügen die?«
»Wer sagt’s denn!«, sagte der Professor überrascht. »Die kommen gerade recht. Tatsächlich habe ich auf dem Weg ein paar zu viel verstreut und schon befürchtet, dass sie nicht mehr reichen. Sehr aufmerksam, wirklich! Haben Sie vielen Dank! So umsichtig wie Sie sind nicht viele!«
»Wir müssen langsam gehen, Großvater«, sagte die Enkelin. »Es bleibt nicht mehr viel Zeit.«
»Pass schön auf«, sagte der Professor. »Die sind heimtückisch, die Schwärzlinge.«
»Keine Sorge. Ich komme zurück«, sagte die Enkelin und küsste den Professor auf die Stirn.
Der Professor wandte sich zu mir: »Ihnen habe ich großes Unrecht getan. So großes, dass ich, wenn es ginge, gerne an Ihre Stelle träte. Ich habe mein Leben genossen, ich könnte ohne Bedauern abtreten. Für Sie ist es wahrscheinlich noch ein bisschen früh. Und alles ging so schnell, Sie konnten sich nicht darauf einstellen; bestimmt hatten Sie in dieser Welt noch einiges vor.«
Ich nickte nur.
»Doch fürchten Sie sich nicht zu sehr«, sagte der Professor. »Dazu besteht kein Grund. Denken Sie daran: Was Sie erwartet, ist nicht der Tod. Es ist das ewige Leben. Und Sie werden Sie selbst sein. Damit verglichen ist unsere Welt nur bloßer Schein. Vergessen Sie das nicht!«
»Gehen wir«, sagte die Enkelin und zog mich am Arm.
28 DAS ENDE DER WELT
MUSIKINSTRUMENTE
Der junge Verwalter des Kraftwerks lädt uns in sein Häuschen ein. Er sieht zunächst nach dem Feuer im Ofen, dann nimmt er den Kessel mit kochendem Wasser herunter, geht damit in die Küche und brüht uns Tee auf. Wir sind steif gefroren von der Kälte im Wald, der heiße Tee tut uns gut. Wir sind dankbar. Der Wind macht immer noch ohrenbetäubenden Lärm.
»Das ist Tee aus dem Wald«, sagt der Verwalter. »Den ganzen Sommer über lasse ich ihn im Schatten trocknen, im Winter kann man ihn dann trinken. Er ist gesund und wärmt.«
»Mmh, ist der gut!«, sagt die Bibliothekarin.
Der Tee ist aromatisch und besitzt eine feine, echte Süße.
»Aus welcher Pflanze machen Sie ihn denn?«, frage ich.
»Tja, so gut kenne ich mich da nicht aus, tut mir leid«, sagt der junge Mann. »Irgendein Kraut, das im Wald wächst. Es roch so gut, und da hab ich es mal als Tee probiert. Es ist grün, wächst nicht sehr hoch und blüht so ungefähr im Juli. Dann pflücke ich die jungen Blättchen ab und hänge sie zum Trocknen auf. Die Tiere sind ganz wild auf die Blüten.«
»Die Tiere kommen bis hierher?«, frage ich.
»Ja, aber nur bis Anfang Herbst. Sobald der Winter in der Luft liegt, wagen sie sich plötzlich nicht mehr in die Nähe des Waldes. In den wärmeren Jahreszeiten kommen immer mal wieder kleine Grüppchen her und spielen mit mir. Ich füttere sie nämlich mit meinen Vorräten. Aber im Winter kommen sie gar nicht. Sie trauen sich nicht mehr in den Wald, obwohl sie wissen, dass sie bei mir zu fressen bekommen. Deshalb bin
Weitere Kostenlose Bücher