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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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hören.
    »Wundert es Sie nicht, dass ich Musikinstrumente sammle?«, fragt er mich. »In der Stadt interessiert sich nämlich sonst kein Mensch für so etwas. Die Leute hier bringen für rein gar nichts auch nur einen Funken Interesse auf. Natürlich, sie haben alles, was man zum Leben braucht: Töpfe, Messer, Laken, Kleidung und solche Sachen. Aber damit hat es sich auch schon. Für sie müssen die Dinge bloß ihren Nutzen haben, mehr nicht. Höhere Ansprüche stellt hier niemand. Aber ich bin anders. Ich liebe gerade solche Dinge hier.Warum, weiß ich selbst nicht, aber so etwas zieht mich magisch an, diese komplizierten Formen – schöne Dinge.« Er hat die eine Hand auf den Tisch gelegt, die andere steckt in seiner Hosentasche. »Wenn ich ehrlich bin, gefällt mir deshalb auch das Kraftwerk so«, fährt er fort. »Der Ventilator, die verschiedenen Messgeräte, die Transformatoren. Vielleicht hatte ich ja immer schon diese Neigung und wurde deswegen hierher geschickt. Das ist nun schon so lange her – was davor war, habe ich vollkommen vergessen. Und daher habe ich manchmal das Gefühl, dass ich nie wieder in die Stadt zurückkehren kann. Jemanden mit einer solchen Neigung nimmt die Stadt doch bestimmt nie wieder auf!«
    Ich nehme eine Violine in die Hand, die nur noch zwei Saiten besitzt, und zupfe darauf herum. Das Ergebnis ist ein trockenes staccato.
    »Woher bekommen Sie eigentlich die Instrumente?«, frage ich.
    »Das ist ganz verschieden«, sagt er. »Ich habe den Mann, der mir die Nahrungsmittel vorbeibringt, gebeten, sie für mich zu sammeln. Sie lagen bei vielen Leuten einfach im Wandschrank oder in der Scheune herum. Weil man nichts damit anzufangen wusste, waren die meisten schon zu Brennholz verarbeitet worden, aber ein paar sind verschont geblieben. Er hat für mich danach gesucht und sie mir mitgebracht. Musikinstrumente haben grundsätzlich eine schöne Form. Ich weiß weder, wie man sie handhabt, noch habe ich große Lust, sie zu benutzen, aber beim bloßen Ansehen fühle ich ihre Schönheit. Sie sehen kompliziert aus, haben aber nichts Überflüssiges. Ich setze mich oft hierhin und sehe sie mir in aller Ruhe an. Das genügt mir schon. Meinen Sie, dass ich verrückt bin?«
    »Musikinstrumente sind wunderschön!«, sage ich. »Nein, Sie sind absolut nicht verrückt.«
    Mein Blick fällt auf eine zwischen einem Cello und einer Trommel eingezwängte kleine Ziehharmonika. Ich ziehe sie heraus. Anstelle der Klaviatur hat sie noch altmodische Knöpfe, wie eine Konzertina. Der Balg ist hart geworden und hat hier und da kleine Risse, sieht aber ganz danach aus, als würde er die Luft halten können. Ich stecke meine Hände in die Schlaufen an den Seiten und ziehe und quetsche ein paar Mal. Dazu ist mehr Kraft nötig, als ich vermutet habe, aber wenn die Knöpfe gut funktionieren, müsste das Instrument zu gebrauchen sein. Eine Ziehharmonika ist schwer kaputt zu kriegen, solange der Balg nicht undicht wird, und selbst wenn – das ließe sich verhältnismäßig leicht reparieren.
    »Darf ich mal?«, frage ich.
    »Aber bitte, ich hab nichts dagegen. Dazu sind die Instrumente ja da«, sagt der junge Mann.
    Ich ziehe den Balg weit auseinander, quetsche ihn wieder zusammen und drücke dabei der Reihe nach die Knöpfe, von unten nach oben. Bei einigen erklingt zwar nur ein leises Tönchen, aber es kommt eine vollständige Tonleiter heraus, und das ist die Hauptsache. Ich spiele die Klaviaturknöpfe noch einmal durch, diesmal von oben nach unten.
    »Das hört sich ja seltsam an«, sagt der junge Mann interessiert. »Als ob der Ton die Farbe wechseln würde.«
    »Je nachdem, welchen von diesen Knöpfen man drückt, ändert sich die Wellenlänge der Töne«, sage ich. »Alle sind verschieden, und je nach Wellenlänge entstehen Töne, die zusammenpassen und solche, die nicht zueinander passen.«
    »Das verstehe ich nicht so ganz: was heißt ›zusammenpassen‹ – dass sie aufeinander angewiesen sind?«
    »Genau«, sage ich und versuche einen Akkord zu spielen. Die Intervalle sind zwar nicht astrein, doch im Großen und Ganzen klingt er stimmig genug, um das Ohr nicht zu beleidigen. Aber ein Lied fällt mir nicht ein, nur Akkorde.
    »Das waren jetzt passende Töne, oder?«
    »Genau«, sage ich.
    »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, sagt er. »Höchstens, dass das seltsame Klänge sind. Ich höre so etwas zum ersten Mal. Ich verstehe nichts davon. Sie klingen anders als der Wind, aber auch anders als

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