Hard News
dreiundvierzig Jahren nicht.«
»Wollen Sie meine Meinung hören?«
»Eigentlich nicht.«
»Sie kriechen zu Kreuz, weil Sie weiter Ihre Kohle kriegen wollen.«
Rune war auf eine Strafpredigt gefasst, wurde jedoch überrascht – von einer leisen, verletzten Stimme. »Ich glaube, Sie wissen, dass es das nicht ist.«
Und kurz darauf nickte Rune, weil sie begriff, dass Sutton Recht hatte. Klar, sie beugte sich den Wünschen der Geschäftsleitung. Die Gründe dafür waren jedoch verwickelt. Zum Teil gab sie nach, weil sie süchtig nach dem Prestige und dem Rausch war, die mit dem Beruf als Hauptnachrichtenmoderatorin verbunden war. Zum Teil, weil sie einen Job behalten wollte, um den sie hart gekämpft hatte.
Und zum Teil – zum größten –, weil Piper Sutton das Gefühl hatte, dass die Welt des Journalismus und ihre zehn Millionen Zuschauer auf sie angewiesen waren.
Was natürlich richtig war. Sie waren darauf angewiesen, dass ihnen die Nachrichten von Menschen wie ihr vermittelt wurden, von Menschen, die sie kannten, denen sie vertrauten, die sie bewunderten. Ein alter Freund hatte einmal jemanden zitiert – einen Dichter, glaubte sie –, der gesagt hatte, die Menschheit könne zu viel Realität nicht ertragen. Es waren die Piper Suttons dieser Welt, die die Realität in mundgerechte kleine Stücke zerteilten, die sie hübsch arrangiert vor dem Publikum ausbreiteten.
»Ich stelle es in den Kontext.« Sutton zuckte die Achseln.
»Boggs war unschuldig, und Sie haben ihn rausgeholt. Das ist eine gute Tat. Aber trotzdem eine kleine Story. Es gibt eine Menge Nachrichten da draußen, eine Menge größerer Nachrichten. Niemand verlangt, dass ich über alles zu berichten habe.«
»Ich werde die Geschichte selber produzieren.« Rune hörte sich bedrohlicher an, als sie es gewollt hatte.
Sutton lachte. »Viel Glück, Kleine, und noch mehr Power. Ich sage nichts weiter, als dass die Story nicht beim Sender laufen wird. Nicht in meiner Sendung.«
Rune drehte sich zu Sutton um. »Und wenn ich es tue, dann erwähne ich auch den Teil, dass Sie die Story nicht in Current Events bringen wollten.«
Sutton lächelte. »Ich schicke Ihnen die Akten und das Hintergrundmaterial, das Zeug, das ich aus Ihrem Schreibtisch gerettet habe. Verpassen Sie uns richtig eine. Wir können’s vertragen.«
Rune wandte sich wieder ihrem Haufen mit den geretteten Sachen zu. »Das wird ein Riesenstress, wenn ich das selber machen will.«
»Auf jeden Fall«, stimmte Sutton ihr zu.
»Wissen Sie, ich könnte einen Geschäftspartner brauchen. Jemanden, der helle ist und die Branche kennt. Und sich irgendwie durchsetzen kann.«
»Sich irgendwie durchsetzen kann.«
»Sie wären nicht zufällig interessiert, oder?«
»Moment mal – Sie meinen, ich soll meinen Job schmeißen und mit Ihnen zusammenarbeiten?« Sutton lachte, ehrlich belustigt.
»Klar! Wir würden ’n tolles Team abgeben.«
»Um keinen Preis der Welt.« Die Moderatorin stieg über den Dreckhaufen und begann, Rune beim Suchen zu helfen. Wenn sie etwas gefunden hatte, hielt sie es in die Höhe, und Rune gab ihr Weisung: »Aufheben.« – »Wegschmeißen.« – »Wegschmeißen.« – »Wegschmeißen.« – »Auf den Haufen mit den unidentifizierten Objekten.« – »Aufheben.« – »Aufheben.«
Sie hatten eine halbe Stunde gearbeitet, als Sutton sich aufrichtete und mit einer Grimasse ihre schmutzigen Hände musterte. Sie fand einen Lappen und fing an, sie daran abzuwischen. »Wie spät ist es?«
Rune warf einen Blick auf ihre funktionierende Uhr. »Mittag.«
»Hätten Sie Lust auf einen Brunch?«, fragte Sutton.
»Ich kann heute nicht. Ich geh mit jemandem in den Zoo.«
»Eine Verabredung, hm?«
»Eher nicht«, sagte Rune. »Hey, wollen Sie nicht mitkommen?«
Sutton schüttelte den Kopf, was, wie Rune sich dachte, wahrscheinlich ihre automatische Reaktion auf Einladungen dieser Art war. »Ich war seit Jahren nicht mehr im Zoo«, sagte sie lachend.
»Das ist wie Fahrrad fahren«, sagte Rune. »Das hat man sofort wieder drauf.«
»Ich weiß nicht.«
»Kommen Sie schon.«
»Lassen Sie mich drüber nachdenken.« Sutton hörte auf, den Kopf zu schütteln.
»Ach, kommen Sie.«
»Ich sagte, ich denke darüber nach«, blaffte Sutton. »Mehr können Sie nicht verlangen«.
»Klar kann ich«, sagte Rune.
Die Moderatorin achtete nicht auf sie, und gemeinsam kauerten sie vor dem Haufen mysteriöser Gegenstände nieder und durchwühlten ihn weiter auf der Suche nach Runes
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