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Sternen in den Himmel zu steigen. Sarah hört plötzlich das Schluchzen, das von der niedrigen Decke und den harten Kanten des Raumes noch verstärkt wird. Die Augen der Gossenmädchen kleben an ihren eigenen Spiegelbildern, als sie an ihnen vorbeigeht und in eine Toilettenkabine tritt.
Es ist das Mädchen in der Kabine nebenan, das weint und nur innehält, um heftig und zitternd Luft zu holen, bevor es die Luft wieder durch die gequälten Muskeln in seinem Hals ausstößt. Sarah weiß, daß es weh tut, wenn man so heftig weint. Die Rippen fühlen sich an, als wollten sie brechen. Die Kabine erzittert bei dem Aufprall, als das Mädchen den Kopf gegen die Wand schlägt, und Sarah erkennt, daß das Mädchen Schmerz sucht, vielleicht um einen andersartigen Schmerz auszutreiben.
Sarah vermeidet es nach Möglichkeit, zwischen Menschen und das zu geraten, was sie brauchen.
Zum Geräusch der Schläge nimmt Sarah ihren Inhalator vom Gürtel, setzt ihn an die Nase und drückt darauf. Das kurze Zischen von komprimiertem Gas ertönt. Sarah wirft den Kopf zurück und spürt, wie der Treibsatz durch ihre Nervenbahnen rast. Die Kabine erbebt. Sarah inhaliert noch einmal, diesmal durch das andere Nasenloch. Sie merkt, wie ihr Körper erst warm und dann kalt wird, wie die Haare an ihren Unterarmen prickeln. Die Lippen ziehen sich zurück, legen die Zähne frei, und sie fühlt sich auf einmal außergewöhnlich sensitiv und außergewöhnlich hart, als ob ihre Haut aus Rasierklingen bestünde, die jedes Stäubchen spüren könnten. Sie braucht den Biß der Droge, braucht dieses zusätzliche Stück innerer Gewißheit, das sie ihr gibt. Sie hat Cunningham nichts davon gesagt. Zum Teufel mit ihm - sie wird das Spiel auf ihre Weise spielen...
PRINZESSIN UNTERWEGS PRINZESSIN UNTERWEGS
Das Weinen des Mädchens ist ein heiseres Wimmern, wie eine Säge, die sich in einen Knochen gräbt, dazwischen als Synkopen das hysterische Krachen, mit dem sie immer wieder gegen die Trennwand schlägt. Sarah sieht die Blutflecken, die den Boden der Kabine nebenan sprenkeln. Sie macht ihre Tür auf und rauscht durch den Raum, an den Gossenmädchen vorbei, deren Augen sich fahl zwischen ihren Kajalrändern abzeichnen, während sie einander anstarren und sich fragen, was sie wegen der schluchzenden Verwundeten unternehmen sollen.
...PRINZESSIN BEIM AUJOURD'OUI WIEDERHOLE AUJOURD'OUI SCHALTE AUF POLIZEIFUNK GUTE JAGD - CUNNINGHAM
Und dann kommt die Prinzessin, und Sarah erstarrt in der Bewegung. Die Prinzessin ist von einem Schlägertrupp aus Gossenjungs umringt, aber sie sticht in dem Dunkel deutlich hervor - um sie herum ist eine Aura, ein Glanz. Sie hat etwas an sich, das keiner von ihnen hat, ein mildes Leuchten, das von Luxus spricht, von sanften und sorglosen Freuden, von Freiheit, sogar von der Schwerkraft selbst. Von einem Leben, an dem nicht einmal die Jocks teilhaben können. Es scheint, als würde die Musik eine Pause machen, als der Raum in gemeinsamer Ehrfurcht die Luft anhält. Zweihundert Augen können den Glanz sehen, und in hundert Mündern, die danach dürsten, beginnt das Wasser zusammenzulaufen. Sarah spürt, wie ihr Körper vor Erregung zittert, wie Nervenhitze an ihren Fingerspitzen aufflimmert. Sie ist bereit.
Sarah läßt ein gedämpftes, heimliches Lachen hören, als wäre ihr Triumph bereits eine Tatsache, und geht langbeinig durch die abgedunkelte Bar, wie Firebud es ihr beigebracht hat. Sie schwingt ihre breiten Schultern im Kontrapunkt zu ihren Hüften, was ihr etwas Animalisches gibt. Sie schenkt den Schlägern ein Grinsen und hebt ihre Hände, die Handflächen offen, um ihnen zu zeigen, daß sie keine Waffen trägt, und dann steht die Prinzessin vor ihr.
Sie ist gute zehn Zentimeter kleiner, und Sarah schaut herausfordernd auf sie herab, die Hände in die Hüften gestützt. Die Prinzessin trägt ihr weiches blondes Haar lang, Löckchen spielen um ihre Wangen, ihre Ohren. Ihre Augen sind von riesigen Blüten aus purpurnem und gelbem Makeup umringt, die wie Blutergüsse aussehen sollen und den heimlichen Wunsch nach einem durchscheinenden weißen Gesicht deutlich machen, das nie Schmerz gesehen hat. Ihr Mund ist dunkelviolett, eine weitere Wunde. Sarah legt den Kopf zurück und lacht leise, wobei sie die Zähne entblößt; sie denkt an die Laute, die Hyänen auf der Jagd von sich geben.
"Tanz mit mir, Prinzessin!" sagt sie zu den großen, kornblumenblauen Augen. "Ich bin dein wildester
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