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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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des Gegners traf.
    Harka behielt seine Jagdpfeile im Köcher. Kriegspfeile, mit Widerhaken versehen, besaß er noch nicht. Es würde sich auch nicht geziemt haben, daß er sich aufspielte, als ob er wie ein Krieger kämpfen könne. Aber er war entschlossen, es zu tun, wenn etwaige Feinde nahe genug kamen, um auch Frauen und Kinder anzugreifen. Der Junge ritt an der Seite des Zuges in der Nähe der Mutter und der Schwester. Die beiden hatten zusammen auf einem Pferd aufsitzen müssen.
    Der Zug war erst eine halbe Stunde unterwegs, als schon die Warnrufe der Kundschafter gellten. Verabredet waren als Warnungszeichen einige Töne des Liedes der Drossel, die dem Feind nicht auffallen konnten. Aber die Kundschafter hielten sich nicht an die Abrede. Das war ein Zeichen dafür, daß ihnen Eile jetzt wichtiger schien als Vorsicht. Die Warnrufe wurden aus immer größerer Nähe abgegeben. Die Späher kehrten offenbar schnell zum Zuge zurück. Harka lauschte gespannt und blickte dabei auf den Vater, den stolzen Kriegshäuptling zu Pferde, den die Federn des Kriegsadlers vor allen anderen auszeichneten. Mattotaupa mußte die Befehle geben, was zu tun sei. Niemand zweifelte mehr daran, daß ein Kampf bevorstand.
    Als erster der rückkehrenden Jäger wurde Sonnenregen sichtbar. Er erschien auf einer Anhöhe; seine Haltung ließ darauf schließen, daß er schwer keuchte. Er mußte so schnell wie um sein Leben gelaufen sein. Seine Handzeichen machten allen die drohende Gefahr klar: Eine Schar von über sechzig berittenen Pani war im Anzuge, offenbar mit feindlichen Absichten. Gleich nachdem Sonnenregen seinen stummen Bericht gegeben hatte, ertönten rings noch einmal die warnenden Kundschafterrufe. Alle Männer und Burschen aus dem Spähdienst kehrten zu Fuß im Dauerlauf, zu Pferde im Galopp zurück, um sich in die Krieger- und Wanderschar einzugliedern. Dort wurden sie jetzt am dringendsten gebraucht.
    Harka horchte auf, als er ein neues Geräusch vernahm. Es war noch sehr fern, aber es kam näher, und es war unverkennbar das dumpfe Geräusch einer im Galopp befindlichen Reiterschar. Die Feinde, die von den Kundschaftern angekündigt waren, kamen schon!
    Die Frauen nahmen auf Befehl des Häuptlings alle Kinder aus den Rutschen zu sich aufs Pferd und hängten die Rutschen ab. Es war besser, Zelt und Habe zu verlieren als das Leben. Ohne das Gepäck waren auch die Frauen mit ihren Kindern im Notfall rasch bewegliche Reiterinnen. Getrocknetes Büffelfleisch und getrocknete Wurzeln und Beeren, diese Notvorräte, trugen die Frauen in Ledersäcken verwahrt bei sich.
    Das gefahrdrohende Geräusch der feindlichen Reiterschar kam mit enormer Geschwindigkeit näher. Auf dem Grasland konnten die Mustangs ihre volle Schnelligkeit entwickeln. Harka, der sich bei den Frauen und Kindern befand, spähte angestrengt nach Westen. Von dorther war das Geräusch der herangaloppierenden Reiterschar zu vernehmen. Die fremden Reiter erschienen auf dem Kamm einer Bodenwelle in wohlgeordneter Linie. Auch Harka konnte sie erkennen, wenn auch nur sehr fern und in der Perspektive klein und noch undeutlich. Die ungemein scharfen und geübten Augen der Jäger erspähten aber doch, daß die fremden Krieger die Pferde hochrissen und die Speere drohend schwenkten.
    Noch waren sie für einen Pfeilschuß nicht erreichbar.
    Da geschah etwas Erschreckendes und Grausames. Es knallte auf eine Art, die Harka noch nie im Leben gehört hatte. Harkas Mutter griff nach der Brust und machte eine Bewegung, als ob sie halb umgerissen sei, der Zügel entfiel ihr. Harka drängte sein Pferd an die Seite des Tieres, auf dem Mutter und Schwester saßen, und wollte die Mutter stützen. Da mußte er begreifen, daß eine Tote mit gebrochenen Augen in seine Arme sank. Er vermochte sie kaum zu halten, aber es mußte sein. Er sprang auf, griff mit dem linken Arm durch den Zügel des eigenen Pferdes und ließ dann mit aller Anstrengung die tote Mutter ins Gras gleiten. Da lag sie, und obgleich dem Jungen nur eine Sekunde blieb, um die Mutter anzusehen, wie sie so dalag, prägte sich ihm dieser Anblick für sein ganzes Leben ein. Aus der Brust lief nur ein dünner Blutfaden. Das ebenmäßige, noch junge Gesicht war fahl.
    Uinonah schrie laut auf und wollte auch vom Pferd gleiten, aber Harka zwang sie, oben zu bleiben und sich an der Seite der Frauen zu halten. Er selbst sprang wieder auf seinen Schecken. Seine Augen waren heiß und trocken. Es knallte schon wieder, auf die gleiche Weise

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