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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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treffen verstand.
    Harka ging zur Pferdeherde, begrüßte sein Büffelpferd und schlenderte dann zu dem Zelt Tschetans zurück. Er war so ruhig, und was er getan hatte, erschien ihm jetzt so selbstverständlich, daß er nicht auf den Gedanken kam, sich heimlich zurückzuschleichen. Er schlüpfte durch den Zelteingang, wie er es täglich tat, begab sich zu seinem Nachtlager und wickelte sich erschöpft, aber noch mit einem Lächeln um die Lippen, in die Decke ein. Sein Mißmut gegen Tschetan und Kraushaar war ganz und gar verschwunden. Er freute sich nur darauf, vor den Augen der Gefährten mit dem Vater zusammen sein Mazzawaken zu handhaben. Auch Tschetan und Kraushaar wollte er einige Schüsse abgeben lassen, wie er ihnen versprochen hatte. Sie würden über ihren falschen Verdacht beschämt sein, aber er würde sie das nicht fühlen lassen. Schonka allerdings sollte die Waffe nicht in die Hand bekommen.
    Der Junge schlief in den folgenden Stunden ungewöhnlich fest. Auch als sein Bewußtsein wieder zu erwachen begann, öffnete er die Augen noch nicht. Langsam spann sich ein Gedanke nach dem anderen in seinem Gehirn an – Bärenjagd, Mazzawaken, Alte Antilope mit dem Gesäß in der Feuerstelle, der rothaarige Meisterschütze, das kommende Jagdfest – und schließlich hatte er die Empfindung, daß ihn jemand scharf ansehe.
    Er machte die Augen auf. Neben seinem Schlafplatz stand Tatanka-yotanka.
    Harka war benommen. Aber lange Übung ließ seinen Körper fast automatisch auf jede Überraschung im Schlaf oder beim Erwachen reagieren. Er warf die Decke beiseite und sprang auf, die Büchse, die neben seinem Schlafplatz gelegen hatte, in der Hand.
    Stumm stand er so dem großen Geheimnismann und Häuptling gegenüber. Er sah ihn fest an und suchte in den Augen des gebieterischen Mannes zu lesen. Aber Tatankayotankas Mienen blieben unbeweglich und unzugänglich wie eine Maske. Er sprach lange kein Wort.
    Er sprach überhaupt kein Wort. Er schaute nur den Knaben an, so wie dieser ihn. Harka konnte sich selbst nicht sehen, aber Tatanka-yotanka sah ihn. Der Knabe war groß für sein Alter, schlank, sehnig. Darin unterschied er sich kaum von seinen Altersgenossen. Was auffiel, waren Stirn, Auge und Mund, war ein furchtloser, entschlossener Zug und der Ausdruck eines Verstandes, der sich nicht so leicht eine Grenze setzen ließ.
    Tatanka-yotanka hatte die Lider halb gesenkt. Er wollte den Knaben erforschen, ohne von ihm erforscht zu werden. Aber je länger das Schweigen dauerte, desto mehr erkannte Harka, wie der Blick des Mannes ihn heimlich durchleuchten wollte, auch er schirmte sich ab und sah Tatanka-yotanka nicht mehr in die Augen, sondern auf den Mund, auf die schmalen verbissenen Lippen, und einem Zucken um die etwas herabgezogenen Mundwinkel glaubte Harka zu entnehmen, daß der große Geheimnismann nicht gekommen war, um dem Knaben eine freudige Botschaft mitzuteilen oder ihm als dem jungen Bärenjäger eine Ehre zu erweisen.
    Tatanka-yotanka hatte aber seine Festkleidung angelegt. Reich und schön war die Stickerei, die Schultern und Bruststück seines Rockes bedeckte. Die Indianer pflegten die Borsten des Stachelschweines mit Naturfarbe zu färben und diese langen Stacheln aufzunähen. Der Geheimnismann hatte eine Lederdecke um die linke Schulter geschlagen, sie war mit Bildern seiner Taten bemalt. Auf dem Haupt trug er die Krone aus Adlerfedern, geschmückt mit weißem Hermelin.
    In dem langen Schweigen begannen Harkas Nerven zu vibrieren. Er hatte schon begriffen, daß sich außer Tatanka-yotanka und ihm selbst niemand mehr im Zelt befand. Tschetan war nicht da, Kraushaar war nicht da, auch Tschetans Mutter und Großmutter mußten das Tipi verlassen haben. Uinonah war nirgends zu sehen.
    Die Schlafdecken der Frauen und Kinder lagen zusammen geordnet, die Gestelle waren zur Seite gerückt. Wann war das alles vor sich gegangen? Warum hatte Harka nichts davon wahrgenommen? Hatte er so fest und so lange geschlafen?
    Was wollte der Geheimnismann jetzt von ihm? Je länger Tatanka-yotanka schwieg, desto unruhiger und unsicherer wurde Harka. Das einzige, was ihm in der rätselhaften Situation Sicherheit gab, war seine doppelläufige Büchse, die er im Aufspringen samt etwas Munition zur Hand genommen hatte.
    Es war dämmrig in dem Zelt, da der Eingang geschlossen war und unter der Asche in der Zeltmitte nur noch Funken glühten. Draußen waren Geräusche zu hören. Harka hörte sie jetzt, da seine Sinne lange Zeit ganz

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