Harlekins Mond
Liren.«
Rachel rechnete. Wenn man davon ausging, dass Liren für sich selbst stimmen würde, dann lag die entscheidende Stimme bei Cläre.
Cläre räusperte sich. »Liren, ich bin ebenfalls der Ansicht, dass sich das Projekt nicht so gut entwickelt, wie es eigentlich sollte, und dass der Grund dafür zum Teil in deiner Vorgehensweise liegen könnte. Dich trifft keine Schuld an Waldbränden oder ähnlich gearteten Verzögerungen. Allerhöchstens daran, die Spaltung zwischen uns und den Mondkindern zu vertiefen. Der Captain hat es selbst gesagt – etwas von dieser Schuld müssen wir auch uns selbst anlasten. Wir müssen die Art unseres Vorgehens als Hoher Rat ändern – wir können es uns nicht erlauben, weiterhin solche Angst vor den Mondgeborenen zu haben.«
Angst?, fragte sich Rachel verwundert. Angst weswegen?
Cläre sprach weiter. »Das Feuer hat uns unsere Verwundbarkeit vor Augen geführt. Wir liegen vielleicht im Kampf mit dem Mond Selene, aber nicht mit den Kindern von Selene. Nun steht uns unerwartete Arbeit bevor, mit der wir nicht gerechnet haben. Wir werden auf die Kooperation der Mondgeborenen angewiesen sein, um die Zuflucht im Meer der Hammerschläge fertig zu stellen.« Sie senkte die Stimme und sprach langsamer. Sie sah Liren offen an. »Aber ich glaube nicht, dass diese Diskussion ohne Effekt auf dich bleiben wird, Liren. Ich stimme dafür, dich im Amt zu behalten und ersuche dich, deine extremeren Standpunkte nochmals zu überdenken. Außerdem würde ich dir vorschlagen, eine gewisse Zeit auf Selene zu verbringen.«
Lirens Tonfall war fest und sicher, als sie erwiderte: »Ich glaube an die Richtigkeit meiner Entscheidungen. In manchen Fällen wird sie sich erst dann erweisen können, wenn Selene über eine größere Bevölkerung verfügt. Und ich muss mich nicht hinunter auf Selene begeben, um zu verstehen, was dort geschieht. Ich bin bereits Kompromisse eingegangen, wahrscheinlich mehr, als Ihnen allen bewusst ist. Ich werde auch weiterhin meiner Besorgnis Ausdruck verleihen, und Ihnen allen steht es frei, dasselbe zu tun. Das ist der Grund, weshalb unser Rat aus fünf Mitgliedern besteht.«
Cläre versicherte ihr: »Du hast meine Unterstützung, Liren. Ich werde dir in Zukunft vielleicht mit mehr Nachdruck widersprechen, aber dir kommt eine wichtige Funktion zu. Und du sollst nicht glauben, dass niemand deine Bemühungen zu würdigen wüsste.«
Hinter Rachels Rücken gab Ali ein Stöhnen von sich, und Treesa sagte: »Ich wünschte, ich hätte mich geirrt.«
Auf dem Schirm war zu sehen, wie der Captain die Sitzung schloss; sein Gesicht war von maskenhafter Undurchdringlichkeit. Kyu, das kleinste Mitglied des Hohen Rates, erhob sich kerzengerade und strebte zur Tür. Cläre wollte Liren freundschaftlich die Hand reichen; Liren schlug das Angebot mit einem Schulterzucken aus und folgte Kyu. Der Raum leerte sich, als wollte jeder den Ort der Auseinandersetzung so rasch wie möglich verlassen.
Treesa schaltete die Bildwiedergabe ab, blieb sitzen und starrte an die leere Wand. Die Papageien füllten die plötzliche Stille mit lautem Gekrächze, bis Treesa aufstand und den Käfig mit einem schwarzen Tuch abdeckte.
»Wow«, sprach Ali in die wieder eingekehrte Stille.
»Sie machen oft eine Menge Lärm«, sagte Treesa.
»Nicht die Papageien.« Ali sah Rachel an. »Ich schätze, ich bin froh, dass du das gesehen hast. Aber du darfst niemandem etwas davon erzählen – das war nicht für dich bestimmt. Und auch nicht für uns. Das war eine nichtöffentliche Sitzung.«
»Aber wie –«
»Treesa versteht sich gut auf Elektronik«, meinte Ali trocken.
»Ich weiß.« Da sie sich nicht sicher war, wie viel Ali wusste, hielt sich Rachel mit ihren Fragen zurück. Sie stand auf, reckte sich und versuchte, die Konsequenzen dessen zu verstehen, was sie soeben mit angesehen hatte.
»Wenn sie dich erwischen, wird sich Liren in ihren Befürchtungen bestätigt fühlen«, sagte Treesa. »Um Erfolg zu haben, wirst du letztlich um eine Konfrontation mit ihr nicht herumkommen, aber je später, desto besser. Deine Arbeit auf Selene wird für eine Weile sogar noch riskanter werden. Ich wünschte, der Captain hätte das versucht, als die Leute ihn noch als den Helden in Erinnerung hatten, der die John Glenn gerettet hat. Auf einem Schiff, das so lange Zeit festliegt, hat er wenig Einfluss.«
»Hat nicht Erika die John Glenn gerettet?«, fragte Rachel.
»Sie hat uns davor bewahrt, zu einer Plasmawolke zu
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