Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1
Alibi hatte und auch die DNA-Spuren am Tatort fehlten, hatte das Sheriffs Office nicht reagiert. Daraufhin hatte Jessie beschlossen, Daniel ins Vertrauen zu ziehen. Gemeinsam beschatteten sie Ethan, um einen Beweis für seine Schuld zu finden und um Liv zu schützen. Deswegen hatte Daniel sein Spiel in Amherst abgesagt, heimlich. Als Liv behauptet hatte, so etwas würde er nur tun, wenn es um Leben und Tod ging, hatte sie ausnahmsweise richtig gelegen.
Er hatte sie trotzdem nicht vor Ethan beschützen können, nicht an dem Morgen im Fitnesscenter, als Ethan Daniel im Geräteraum eingeschlossen hatte, bevor er Liv auflauerte, und nicht am Abend in der Schule, als Ethan in Raum 213 auf Liv gewartet hatte.
Denn Ethan war Jessie und Daniel immer zwei, wenn nicht drei Schritte voraus gewesen. Für ihn musste das Ganze ein großer Spaß gewesen sein. Von Anfang an, als er Liv in der Nacht der Party aufgelauert hatte, und, wie die Polizei vermutete, absichtlich am Leben gelassen hatte, um mit ihr zu spielen. Er hatte sie alle wie Marionetten geführt, hatte sie tanzen lassen, und jeder hatte sich so verhalten, wie er es geplant hatte.
Die Sache war eskaliert, als Jessie Ethan auf dem Spielplatz eine Falle stellen wollte. Livs Bruder hatte Ethan zum Reden bringen wollen, notfalls mit Gewalt. Daniel sollte derweil auf Liv aufpassen, deswegen hatte er ihr auch eine SMS geschickt und sein Kommen angekündigt. Ethan allerdings hatte den Spieß umgedreht. Es war pures Glück, dass Daniel an jenem Abend nur im Straßengraben gelandet war. Ethan hatte seine Bremsleitungen manipuliert, sodass er nie bei Livs Haus ankam. Und Liv selbst war nur zu bereitwillig auf Ethans Spiel eingegangen, hatte erst Daniel, dann ihren Bruder verdächtigt.
Während Jessie seine Falle vorbereitete und Daniel festsaß, hatte Ethan die Zeit genutzt, um das Video für Liv in Szene zu setzen, in der Annahme, dass sie sofort ihren Bruder zur Rede stellen würde.
Was sie getan hatte.
Dass Liv selbst darauf gekommen war, wo Jessie sich aufhielt, war für Ethan ein netter Zufall gewesen. Ansonsten hätte er auch dort nachgeholfen, da war sich Liv inzwischen sicher.
Er hatte an alles gedacht. Er hatte sie immer im Blick gehabt. Er hatte niemals versagt.
Bis auf den Schluss.
Sie dachte daran, wie sie mit ihm aus dem Klassenzimmer gekommen war. Keine Minute später war die Polizei eingetroffen, die Jessie schon auf dem Spielplatz verständigt hatte, die aber fast eine Viertelstunde bis zur Schule gebraucht hatte. Ethan hatte sich nicht gewehrt. Er hatte sich widerspruchslos festnehmen lassen und Liv hatte ihm nicht ansehen können, was er dachte.
Jessie vermutlich auch nicht, sie hatte ihn bis jetzt noch nicht danach gefragt.
Die Polizistin nahm ihre Jacke vom Stuhl und zog sie an. »Wir sehen uns morgen auf Rachels Beerdigung«, sagte sie.
»Eins noch«, sagte Jessie und blickte auf. »Haben Sie eigentlich nie mich verdächtigt?« Er zögerte. »Als Sie mich nach Ethans Freilassung aufs Revier beordert hatten, war ich fest davon überzeugt, dass es jetzt mich trifft. Schließlich habe ich Sie ziemlich offensichtlich angelogen, was Rachel betraf.«
Da Silva lachte leise. »Ja, das stimmt. Aber ich wusste trotzdem, dass du es nicht gewesen sein konntest.«
»Warum das?«
Da Silva zögerte. »Sorry, Jessie, das werden deine Eltern jetzt nicht gerne hören. Du hattest ein überzeugendes Alibi. Zu der Zeit, als Rachel umgebracht worden ist, hast du bei einem stadtbekannten Dealer Dope gekauft. Unser Ermittlerteam saß im Wagen direkt hinter euch. Du wärst an dem Abend hochgegangen, wenn wir es nicht auf die Jungs hinter dem Ring abgesehen hätten.«
Jessies Dad stöhnte und Liv dachte daran, wie ihr Bruder im Flur gelehnt hatte, in seiner Jacke, kreidebleich im Gesicht. Auch das hatte sie falsch interpretiert.
Da Silva nickte noch einmal knapp in die Runde und verließ die Küche.
Livs Mom und Dad folgten ihr in den Flur, um sie zu verabschieden. Liv und Jessie blieben am Küchentisch sitzen. Schweigend. Wie so oft in den letzten Tagen.
Viel später klopfte Jessie an Livs Zimmertür. Er hatte ein weißes Grablicht in der Hand. »Kommst du mit mir nach draußen?«, fragte er und seine Stimme klang rau.
Sie nickte und erhob sich schweigend. Zusammen gingen sie in den Garten. Draußen war es noch warm, ein lauer Wind ging, es war ein schöner Abend. Doch in der Nachbarschaft war es ungewöhnlich still. Liv sah zu, wie ihr Bruder auf den Ahornbaum
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