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Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1

Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1

Titel: Harmlose Hölle - Raum 213 ; Bd. 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loewe
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ist der Fall. Die da draußen sind böse. Und hier bist du vor ihnen in Sicherheit.«
    Und dann holte er unter seinem Pullover ein schmales braunes Lederetui hervor und zog mit einer bedächtigen Bewegung das Messer heraus. Er betrachtete es lange.
    Liv rührte sich nicht von der Stelle. Alles in ihr brüllte danach zu rennen, aber sie wusste, das war das eine, was sie nicht tun durfte. Das Zimmer war zu klein, sie hätte nicht den Hauch einer Chance. Und Ethan war wahnsinnig. Jessie hatte die ganze Zeit recht gehabt. Das hier war eine Falle und sie war blind hineingelaufen.
    »Ich habe keine Angst«, sagte sie und versuchte an Ethan vorbei zur Tür zu blicken. Das Toben ihres Bruders hatte für einen Moment ausgesetzt.
    »Nein?« Ethan sah ehrlich überrascht aus. Dann versank er wieder in seine brütende Betrachtung des Messers. »Du brauchst nicht zu glauben, dass er dich retten kann«, sagte er fast im Plauderton. »Dein Bruder kann hier nicht herein. Niemand kann das. Man muss würdig sein, um das Zimmer betreten zu können.«
    Liv spürte die Angst überall, sie war in ihrem Magen und in ihren Beinen. Aber merkwürdigerweise waren alle ihre Sinne wie elektrisiert, es schien ihr, als könne sie schneller denken als sonst.
    Sie überschlug die Zeit, die sie bereits hier war. Zehn Minuten, höchstens zwölf, in denen Ethan sie mit seiner Geschichte abgelenkt hatte. Hatte Jessie in der Zwischenzeit die Polizei gerufen? Bestimmt doch, oder? Aber warum war sie dann noch nicht hier?
    Sie scannte den Teil des Raums ab, den sie sehen konnte, ohne sich zu bewegen. Nichts. Hier gab es keine Waffe, mit der sie sich verteidigen konnte, und keine Fluchtmöglichkeit, die ihr Sicherheit verschaffte. Das hier war ein ganz normales, langweiliges Schulzimmer.
    Und sie – das schoss ihr plötzlich durch den Kopf – hatte nicht vor, in einem ganz normalen, langweiligen Schulzimmer zu sterben.
    In dem Moment, als der Gedanke bei ihr angekommen war, fing sie an zu schreien. »Jessie!«, brüllte sie. »Er hat ein Messer! Hol mich hier raus!«
    Jessies Stimme draußen war schrill vor Angst. »Halt durch! Ich hab es gleich!«
    Die Schatten auf dem Boden hatten sich abermals verändert und waren zu einer Art Schachbrettmuster geworden.
    Ethan blickt auf. Mit einer blitzschnellen Bewegung hob er das Messer. Liv war darauf gefasst gewesen und reagierte in letzter Sekunde. Sie duckte sich unter seinem erhobenen Arm durch zur Seite weg und spürte noch den Luftzug und die Wucht, die hinter seinem Hieb lag. Aber er traf neben ihr ins Leere.
    Erst taumelte er nach vorne, doch dann fing er sich und wirbelte auf dem Absatz zu ihr herum. Liv verharrte und wartete auf den nächsten Angriff. Den Bruchteil einer Sekunde rührte sich keiner von ihnen, aber dann übernahm Livs Überlebenswille. Sie riss mit aller Kraft ihr Knie hoch und rammte es Ethan in den Schritt.
    Es gab ein Geräusch, als ob Luft aus einem Ballon entweichen würde, dann verzerrte sich sein Gesicht und er fiel auf den Boden, brüllend vor Schmerz.
    Selbstverteidigung bei Coach Lear. Ein Kurs, der Leben rettet. Liv riss sich zusammen. Sie durfte jetzt nicht hysterisch werden.
    Schon raste sie zur Tür. Wie lange würde Ethan vom Schmerz überwältigt sein? Zwanzig Sekunden? Dreißig? Egal. Genug Zeit, die Tür zu öffnen und sich in Sicherheit zu bringen.
    Alles verschwamm vor ihren Augen, als sie ihre Finger nach dem Türknauf ausstreckte – doch sie stießen auf nackte Wand.
    Liv prallte zurück, schloss die Augen, öffnete sie wieder.
    »Nein!« Es war eher ein Kreischen als ein Schrei. Sie erkannte ihre Stimme nicht mehr. Hier war die Tür gewesen, natürlich war sie hier gewesen, sie hatte die ganze Zeit auf den Eingang gestarrt.
    Sie fiel auf die Knie, hämmerte gegen die Wand.
    Ein leises Lachen ließ sie wieder herumfahren. Ethan saß noch immer auf dem Fußboden und hielt sich den Schritt. Aber er lachte.
    Er lachte sie aus.
    Schließlich erhob er sich, langsam wie ein alter Mann.
    »Livvie, Jessie«, sang er und kam auf sie zu. » We all fall down .« Er streichelte über das Messer.
    Liv spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie ließ sich mit dem Rücken gegen die Wand fallen.
    Es war vorbei. Sie hatte den Fehler gemacht, ihrem eigenen Bruder zu misstrauen. Vielleicht hatte sie es sogar verdient zu sterben.
    In diesem Moment änderte sich das Licht in dem Raum abermals. Die Lamellen vor dem Fenster schwangen stärker und plötzlich bewegten sich die

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