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Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Titel: Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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unterwegs. Der Typ entführte sie direkt von der Straße. Es gab
Zeugen, aber sie wurde nie gefunden.«
    »Das tut mir
leid«, sagte er.
    Ich nickte
dankbar. »Eines Tages werde ich sie finden«, sagte ich. »Eines Tages wird sie
es sein, wenn ich dieses Summen spüre. Und dann werde ich wissen, was ihr
zugestoßen ist.«
    »Leben deine
Eltern noch?«
    »Mein Vater
vermutlich schon. Meine Mutter ist letztes Jahr gestorben.« Ihre Sucht hatte es
endlich geschafft, ihren Körper vollständig zu zerstören.
    »Und wie ist
deine Verbindung zu Tolliver?«
    »Tollivers
Dad hat meine Mutter geheiratet. Wir wurden praktisch wie Bruder und Schwester
aufgezogen.« Falls man so was überhaupt als Aufziehen bezeichnen kann, dachte
ich mir im Stillen. Meist waren wir vollkommen auf uns allein gestellt und
mussten sehen, wie wir klarkamen. Nach einer Weile hatten wir Übung darin, die
Fassade den Behörden gegenüber aufrechtzuerhalten, damit sie uns nicht
voneinander trennten. Tolliver passte auf Cameron und mich auf, und ich auf die
zwei kleineren Mädchen, Mariella und Gracie. Tollivers älterer Bruder Mark sah
auch regelmäßig nach uns, um sicherzustellen, dass wir auch genug zu essen
hatten. Wenn nicht, brachte er uns Lebensmittel vorbei. Sobald Tolliver alt
genug war, suchte er sich einen Job in einem Restaurant und brachte so viel zu
essen nach Hause, wie er konnte.
    Manchmal
arbeiteten unsere Eltern beide, manchmal bekamen wir Sozialhilfe. Aber das
meiste Geld floss ihre Kehlen oder Venen hinunter.
    Wir lernten,
mit sehr wenig auszukommen. Wir lernten, unsere Kleidung in Secondhandläden
oder auf Flohmärkten zu kaufen, Kleidung, die nichts über unsere verzweifelte
Lage verriet. Mark hielt uns Vorträge darüber, wie wichtig es sei, dass wir
gute Noten hätten. »Solange ihr sauber und ordentlich angezogen seid, nicht die
Schule schwänzt und einigermaßen gute Noten habt, bleibt euch das Sozialamt vom
Leib«, bläute er uns ein, womit er auch recht behielt. Bis Cameron verschwand.
    Ich
versuchte, Hollis diese Jahre begreiflich zu machen.
    »Das klingt
ja furchtbar«, sagte Hollis. Er sah traurig aus, traurig wegen des Mädchens,
das ich einmal gewesen war. »Haben sie dich geschlagen?«
    »Nein«,
sagte ich. »Ihre Erziehung bestand hauptsächlich aus Vernachlässigung, auch bei
Mariella und Gracie. Meine Mom versuchte, sich um sie zu kümmern, als sie noch
klein waren. Aber danach war das mehr oder weniger Camerons und meine Aufgabe,
vor allem meine. Es war schwer für uns, nicht auch abzustürzen.« Ich hatte mich
stets an die Erinnerungen an mein früheres Leben geklammert, bevor meine Mutter
Drogen nahm, bevor mein Vater ins Gefängnis kam. Ich hatte mir geschworen,
wieder so ein Leben zu führen. Meine beiden jüngeren Schwestern hatten es da
etwas leichter, sie kannten es ja nicht besser.
    Der Stress,
die Fassade aufrechtzuerhalten, hatte mich beinahe umgebracht. Aber wir
schafften es, bis Cameron entführt wurde.
    »Und was ist
dann passiert?«, fragte Hollis.
    Ich zappelte
nervös und sah woanders hin. »Lass uns das Thema wechseln«, sagte ich. »Kurz
gesagt: Ich verbrachte mein Abschlussjahr in einer Pflegefamilie, und meine
kleinen Halbschwestern kamen zu meiner Tante und meinem Onkel.«
    »Wie war die
Pflegefamilie?«
    »Das waren
brave Leute«, sagte ich. »Keine Kinderschänder oder Sklaventreiber. Solange ich
meine Pflichten erledigte und meine Hausaufgaben machte, konnte ich mich nicht
beklagen.« Es war eine unglaubliche Erleichterung gewesen, in einem Haushalt zu
leben, in dem es ordentlich und sauber zuging.
    »Und gibt es
irgendeine Spur von deiner Schwester?«
    »Ihre
Geldbörse. Ihren Rucksack.« Ich rieb mein rechtes Bein, das schnell einschläft,
wenn ich es nicht bewege.
    »Heftig.«
    »Ja. Man
kann schon sagen, dass wir beide ein ziemlich heftiges Leben hatten.«
    Hollis
nickte. »Auf ein besseres Leben!«, sagte er, und wir prosteten uns zu.
    Später
gingen wir in sein kleines Haus und schenkten uns ein wenig Wärme und Trost.
Aber ich blieb nicht über Nacht bei ihm, obwohl er das gern gehabt hätte. Gegen
drei Uhr morgens küsste ich ihn auf der Türschwelle zu meinem Motel, und wir
umarmten uns lange. Ich ging allein auf mein Zimmer, durchgefroren bis auf die
Knochen.
     

7
     
    Es war ein
wunderbarer Morgen zum Joggen: der dritte klare Tag in Folge, kühl, aber mit
Aussicht auf Sonne. Ich fuhr mir mit einer Bürste durch die Haare und zog meinen
Sport-BH und meine Jogginghose aus Lycra

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