Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
an. Mein altes T-Shirt bedeckte den
kleinen Behälter mit Pfefferspray, den ich an meine Hose geklemmt hatte. Ich
fand einen Plastikschlüsselanhänger, befestigte meinen Zimmerschlüssel daran
und hängte ihn mir um den Hals.
Nach ein
paar Dehnübungen zum Aufwärmen beschloss ich, vom Motel zum Supermarkt zu
laufen, der sich am anderen Ende der Stadt befand. Ich wollte nicht die
Hauptstraße entlangjoggen, die sogar in Sarne recht befahren sein würde. Ich
hasse es, Autoabgase einzuatmen. Ich hatte mir schon eine Route zurechtgelegt,
die durch Seitenstraßen mit kleinen Läden und Häusern führte. Entspannt lief
ich los.
Als ich mein
Tempo gefunden hatte, schaffte ich es, an etwas anderes als das Laufen zu
denken. Zu meiner Überraschung fühlte ich mich besser als gedacht: entspannt
und ohne ein schlechtes Gewissen. Obwohl ich relativ unerfahren war, war mir
Hollis wie ein zärtlicher, rücksichtsvoller Liebhaber vorgekommen. Er schien
sich genauso sehr nach den Berührungen und dem Miteinanderverschmelzen gesehnt
zu haben wie ich. So gesehen, war es okay gewesen.
Weil ich
völlig in Gedanken war, merkte ich erst nach einer Weile, dass mir ein Pick-up
folgte. Der Motorlärm hatte sich erst seit ein, zwei Minuten in mein
Bewusstsein gedrängt. Mein Herz begann verzweifelt zu schlagen, als ich
begriff, dass mich der Fahrer tatsächlich verfolgte. Der dunkle Schatten im
linken Augenwinkel war unübersehbar. Obwohl ich gleichmäßig weiterlief,
konzentrierte ich mich voll und ganz auf den Wagen, der wie ein Löwe durchs
Gras kroch und nur darauf wartete, dass ich unaufmerksam würde, um zuschlagen
zu können. Ich öffnete den kleinen Behälter an meinem Hosenbund und zog das
Pfefferspray heraus. Gehört Arkansas zu den Staaten, wo Pfefferspray legal ist?
Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, ließ das aber meine geringste Sorge
sein. Ich war knapp einen Kilometer vom Motel entfernt, und auf den
Nebenstraßen waren nur wenige Autos unterwegs. Ich konnte auf keinerlei Hilfe
zählen. Die kleine Spraydose lag verborgen in meiner Hand.
Ich kam zu
einer kurzen Ladenzeile, deren Geschäfte noch nicht geöffnet waren. Ein
Waschsalon, ein Juwelier, eine Versicherungsagentur. Keine Autos, keine
Passanten. Die Spannung wuchs ins Unermessliche, während ich darauf wartete,
dass sich der Autoinsasse zum Handeln entschloss. Wenn er wenigstens warten
würde, bis ich mich der Hauptstraße genähert hätte, oder wenn ich es bis zum
Polizeirevier schaffen könnte...
Aber dann
fuhr der Pick-up so auf den Bürgersteig, dass er mir den Weg versperrte. Drei
junge Männer sprangen heraus. Natürlich! Das Alphatier, der Junge aus der
Highschool, den Mary Nell Scotty genannt hatte. Wie nicht anders zu erwarten,
hatte er zwei Kumpel dabei.
Ich blieb
stehen, während sie sich vor mir aufbauten. Ihre Mienen verhießen nichts Gutes.
Unpassenderweise trugen alle drei Footballjacken von ihrer Highschool. Scotty
stand in der Mitte, ein kleinerer, schwarzhaariger Junge befand sich zu meiner
Rechten und ein kräftiger, braunhaariger Junge ohne Taille zu meiner Linken.
Auf den ersten Blick schienen sie nicht bewaffnet zu sein. Aber sie hatten die
Fäuste geballt.
»Hey, du
Schlampe, haben wir dir nicht gesagt, dass du von hier verschwinden sollst?«,
sagte Scotty. Seine hässlichen Worte verzerrten sein Gesicht. Die drei waren
dermaßen aufgebracht, dass sie von einem Bein auf das andere traten und drohend
mit den Schultern rollten.
Ich ließ
meinen Blick über ihre Gesichter wandern und fragte mich, wer sich wohl als
Erster auf mich stürzen würde. Sie waren gestiefelt und gespornt und schienen
zu allem bereit.
»Habt ihr
vor, mich zu vergewaltigen?«, fragte ich, damit ich wusste, woran ich war.
Sie wirkten
schockiert. Schockiert. Die beiden Kumpel sahen fragend zum
Alphatier. Vielleicht mussten sie auch erst überlegen, was sie eigentlich
wollten.
»Wir wollen
überhaupt nichts von dir, du dreckige Nutte«, sagte Scotty bemüht verächtlich,
damit niemand seinen mangelnden Ehrgeiz als Vergewaltiger mit fehlender
Männlichkeit gleichsetzte. Denn echte Männer sind natürlich allzeit bereit für
jede Form von Sex. Wenn sie mich nicht vergewaltigen wollten, musste ich also
wenig begehrenswert sein.
»Das ist
gut«, sagte ich und sah, dass sich der Schwarzhaarige zu meiner Linken nicht
mehr zusammenreißen konnte. Er holte mit dem Arm aus, um mich zu schlagen.
Dumm, sich so zu verraten. Ich sprühte ihm direkt ins Gesicht, woraufhin
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