Harrison, Kim - Hollows 7 - Blutkind
den zwanziger Jahren gestartet wurde«, erklärte er und klang dabei wie ein Lehrer. Die Wände des Treppenaufgangs umfingen uns. »Zu wenig Geld, zu viel politisches Hickhack. Unerwartete Strukturschäden, als sie den Kanal trockengelegt haben. Ein Krieg und die Wirtschaftskrise. Es ist nie fertig geworden.
Manche der Tunnel wurden aufgefüllt, aber hier und dort gibt es noch Abschnitte. Es ist billiger, sie einmal im Jahr zu inspi-zieren, als sie zu zerstören. In manchen verlaufen jetzt Wasser-rohre.«
»Und Mia wusste davon, weil sie schon hier war, als es gebaut wurde«, sagte ich säuerlich.
Edden lachte leise. »Ich würde sogar darauf wetten, dass sie im Komitee für die Verschönerung der Tunnel saß, oder etwas in der Art.« Dann zog er das Funkgerät aus seinem Gürtel und drückte einen Knopf. »Hey, jemand soll die Technik anrufen und ihnen mitteilen, dass wir hier ein neues Schloss brauchen!«
Dann wandte er sich an mich. »Rachel, ich bin keiner, der gerne ›ich habe es dir ja gesagt‹ sagt …«
Wut stieg in mir auf. »Dann werde ich es für dich sagen«, blaffte ich und rutschte dabei fast von einer Stufe ab. »Ich habe es dir ja gesagt. Sie ist ein schwarzes Schaf. Ein verzogenes 632
Kind mit einem Göttinnen-Komplex. Sie will über dem Gesetz stehen, und ich hätte sie wie ein Tier behandeln und bei der ersten Sichtung auf sie schießen sollen!« Mit klopfendem Herzen klappte ich den Mund zu und konzentrierte mich auf die nächste Stufe.
»Und trotzdem hast du sie nur mit deiner Erdmagie zur Strecke gebracht«, sagte Edden völlig ruhig und griff wieder nach meinem anderen Arm. »Du wirst langsam zur Superheldin, Hexe.«
Ich verzog das Gesicht, als ich an Hollys jämmerliches Weinen nach ihrer Mutter zurückdachte, als sie Mia die Treppen hochgeschleppt hatten, verschnürt wie ein Tiger. »Das ist witzig«, meinte ich wütend. »Ich fühle mich absolut beschissen.«
Niemand sagte etwas. Ich machte einen weiteren Schritt, atmete tief ein und dann wieder aus. Wir waren fast oben, und ich wollte einfach nur nach Hause. »Edden, kann ich meine Aussage auch später machen?«
Er war auf Augenhöhe mit mir, als er nickte. »Geh heim. Ich werde morgen jemanden vorbeischicken.«
»Nachmittags, richtig?«, erinnerte ich ihn und schwankte, als der Aufgang sich öffnete und wir in den kleinen Raum traten.
Hier oben war die Kälte noch schlimmer, und ich zog meinen Mantel enger um mich. Mir würde wohl nie wieder warm werden.
»Bist du okay, Rachel?«, fragte Ivy.
Ich atmete schwer und dachte an Jenks, dessen Unterstützung ich gerade schmerzlich vermisste. Ich verzog das Gesicht, lehnte mich auf Ivys Arm und fing an zu zittern. Mir war kalt.
Meine Füße waren taub und wahrscheinlich voller Schnitte, sobald sie aufgetaut waren. Und Kistens Tod, der bis vor kurzem aus meinem Gedächtnis verschwunden gewesen war, hatte sich bemerkbar gemacht und mich ins Gesicht geschlagen, mit all seinen gebrochenen Versprechen und der zerstörten Schönheit.
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»Nein«, sagte ich und fragte mich, ob ich wohl den ganzen Weg zum Café barfuß zurücklaufen musste. Edden folgte meinem Blick zu meinen zerschrammten, weißen Zehen, dann murmelte er etwas von Socken, stellte die Laterne ab und ließ mich mit Ivy allein. Endlich allein. Ich suchte Ivys Blick, und sie sah meine Angst. Ihre Pupillen erweiterten sich. »Während ich bewusstlos war, habe ich mich an die Nacht auf Kistens Boot erinnert«, flüsterte ich. »An alles.«
Ivys Atem stockte. Draußen konnte ich Edden in sein Funkgerät schreien hören, dass einer der Wagen gefälligst sofort umdrehen und uns abholen sollte.
Ich schluckte schwer, kaum fähig, die Worte über die Lippen zu bringen. »Kistens Mörder war in den Tunneln, bevor er kam, um sich Kistens letztes Blut zu holen«, sagte ich, meine Seele so kalt wie der Schnee, der durch die Tür hereinwehte.
»Das habe ich gerochen«, fügte ich hinzu, während ich hilflos versuchte, den Staub von meinem Mantel zu schlagen. »Es ist dieser verdammte Staub. Er war hier unten, denn er hatte ihn überall an sich.«
Ivy rührte sich nicht. »Erzähl es mir«, verlangte sie, ihre Augen schwarz und die Hände zu Fäusten geballt.
Ich warf ihr einen abschätzenden Blick zu und dachte darüber nach, ob ich das nicht besser zu Hause mit einem Wein in der Hand tun sollte, oder selbst in einem Auto, wo wir wenigstens ein bisschen Privatsphäre hätten, aber wenn sie vampirisch werden sollte, hatte ich
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