Harry Bosch 02 - Schwarzes Eis
hatte. Auf dem Revier war kaum jemand entsetzt. Man witzelte, das Opfer habe Gl ü ck gehabt, da ß es nicht im Holiday Inn abgestiegen war. Dieses hatte f ü nfzehn Etagen.
Die traurige Wahrheit war, da ß sich in Hollywood ein Monster frei im Strom der Menschheit bewegen konnte. Nur ein Wagen mehr auf dem ü berlasteten Freeway. Einige w ü rden immer gefa ß t werden, andere hinterlie ß en keine Spur – mit Ausnahme des Blutes.
Porters Resultat war sechs zu acht, bevor er den Hut genommen hatte. Mit dem Ergebnis w ü rde er keine Auszeichnungen bekommen, aber immerhin hatte er sechs Monster aus dem Verkehr gezogen. Wenn er noch einen Fall l ö sen w ü rde, k ö nnte er f ü r Porter ein Unentschieden erzielen. Der kaputte Bulle w ü rde zumindest mit einer ausgeglichenen Statistik in den Ruhestand gehen.
Bosch scherte sich einen Dreck um Pounds und seinen Wunsch, bis Silvester noch einen Fall abzuhaken. Mit Pounds verband ihn nichts. Seiner Ansicht nach war das Endresultat, die gewaltt ä tig beendeten Menschenleben in Jahresstatistiken zu berechnen, null und nichtig. Er entschied sich, wenn er diese Arbeit tat, dann allein f ü r Porter. Auf Pounds schi ß er.
Um Platz zu haben, schob er die Hefter auf dem Tisch nach hinten. Er entschlo ß sich, jeden Mordhefter rasch zu ü berfliegen. Am Ende h ä tte er zwei Stapel, einen f ü r potentiell schnell l ö sbare F ä lle, den anderen f ü r die, die mehr Zeit erforderten.
Er ging sie in chronologischer Folge durch, beginnend mit einem Priester, der am Valentinstag in einer Kabine eines Badehauses am Santa Monica Boulevard erw ü rgt worden war. Das Ergebnis nach zwei Stunden Arbeit waren ganze zwei F ä lle, die sich m ö glicherweise schnell aufkl ä ren lie ß en. Der eine war einen Monat alt. An einer Bushaltestelle auf der Las Palmas Avenue war eine Frau von der Bank gezerrt und im dunklen Eingangsbereich eines geschlossenen Souvenirladens vergewaltigt und erstochen worden. Der andre betraf die Leiche eines Mannes, die man vor acht Tagen gefunden hatte, nicht weit vom Geb ä ude des Filmregisseur-Verbandes entfernt, hinter einem Restaurant am Sunset, das rund um die Uhr ge ö ffnet hatte. Das Opfer war erschlagen worden.
Bosch konzentrierte sich auf diese beiden F ä lle, weil sie die j ü ngsten waren und ihn die Erfahrung gelehrt hatte, da ß ein Fall mit jedem Tag, der vergeht, doppelt so schwierig wird. Die Person, die den Priester erw ü rgt hatte, brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen; Harry kannte die Aufkl ä rungsrate.
Die zwei letzten F ä lle konnten vielleicht relativ schnell gel ö st werden, falls er irgendwie einen Durchbruch erzielte. Wenn er die Leiche hinter dem Restaurant identifizierte, w ü rde ihn das zur Familie, zu Freunden und Bekannten und h ö chstwahrscheinlich zu einem Motiv und M ö rder bringen. Oder falls er den Weg der erstochenen Frau zur ü ckverfolgen konnte, w ü rde er vielleicht herausfinden, wo und wie der M ö rder ihr begegnet war.
Bevor er eine M ü nze werfen w ü rde, entschied sich Bosch, die zwei Ermittlungsberichte eingehend zu studieren. Wegen des besseren Aufkl ä rungspotentials nahm er sich den j ü ngsten Fall zuerst vor. Die Leiche hinter dem Restaurant war die frischeste Spur.
Auf den ersten Blick zeichnete sich der Hefter vor allem dadurch aus, was er nicht enthielt. Porter hatte sich keine endg ü ltige, schriftliche Fassung des Autopsieberichts besorgt. Allein die Untersuchungszusammenfassung und Porters eigene Notizen standen ihm zur Verf ü gung. Porter hatte nur notiert, da ß das Opfer mit einem » stumpfen Gegenstand « erschlagen worden war – im Polizeijargon bedeutete das » alles m ö gliche «.
Das Opfer, gesch ä tztes Alter f ü nfundf ü nfzig Jahre, wurde als Juan Doe #67 bezeichnet. Doe war der Name f ü r jedermann, und Juan stand f ü r Lateinamerikaner. Es handelte sich um den siebenundsechzigsten nichtidentifizierten m ä nnlichen Latino, den man in diesem Jahr in Los Angeles County tot aufgefunden hatte. Kein Geld, keine Geldb ö rse, nichts au ß er den Kleidern, die alle in Mexiko hergestellt waren. Das einzige besondere Merkmal war eine T ä towierung auf der Brust oben links. In der Akte war ein Polaroidfoto davon abgeheftet. Es waren anscheinend die Umrisse eines Gespenstes. Bosch betrachtete es eine Weile und kam zu dem Schlu ß , da ß die blaue T ä towierung sehr alt war. Die Tinte war schon verbla ß t und die Zeichnung unscharf geworden. Juan Doe #67 hatte
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