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Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton

Titel: Harry Bosch 03 - Die Frau im Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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war.
    Er fragte sich jetzt, ob die Jury die leeren Plätze hinter ihm sah und daraus schließen würde, daß er schuldig war, weil niemand gekommen war, ihn moralisch zu unterstützen.
    Als das Gelächter verebbt war, wandte sich sein Blick wieder dem Richter zu. Keyes sah in seiner Robe auf dem Richterstuhl beeindruckend aus. Er war groß und stattlich und hatte die kräftigen Unterarme und Hände vor dem weiten Brustkorb verschränkt, ein Bild selbstgewisser Macht. Sein kahl werdender und sonnengeröteter Schädel war groß und ebenmäßig geformt, an den Rändern eingefaßt von grauem Haar, und suggerierte ein immenses Rechtswissen sowie einen scharfen juristischen Verstand. Er stammte aus den Südstaaten. Als Anwalt hatte er sich auf Bürgerrechtsverletzungen spezialisiert und sich einen Namen gemacht, als er die Polizei von Los Angeles wegen der unverhältnismäßig hohen Anzahl von Schwarzen, die aufgrund von Würgegriffen gestorben waren, verklagt hatte. Er war von Präsident Jimmy Carter zum Bundesrichter ernannt worden, kurz bevor dieser wieder nach Georgia zurückgeschickt wurde. Er war seither der unumschränkte Herrscher von Gerichtssaal 4.
    Harrys Anwalt von der städtischen Rechtsabteilung, Rod Belk, hatte verzweifelt versucht, den Richter aus formellen Gründen vom Verfahren auszuschließen und einen anderen Richter zu bekommen. Am besten jemanden ohne Vorgeschichte als Streiter für Bürgerrechte. Aber er war gescheitert.
    Bosch nahm es allerdings nicht so tragisch wie Belk. Er wußte, daß Keyes aus dem gleichen Holz geschnitzt war wie die Anwältin der Klägerin, Honey Chandler: mißtrauisch und zuweilen sogar voller Zorn der Polizei gegenüber. Es war jedoch auch zu spüren, daß er letztendlich ein fairer Mann war. Und mehr glaubte Bosch nicht zu benötigen, um heil aus der Sache herauszukommen. Ein faires Verfahren. Schließlich wußte er im Innersten, daß er sich in dem Silverlake-Apartment korrekt verhalten hatte. Er hatte das Richtige getan.
    »Es ist Ihre Aufgabe zu entscheiden, ob die Behauptungen der Rechtsanwälte im Prozeß dann bewiesen werden«, sagte der Richter. »Vergessen Sie das nicht. Nun, Ms. Chandler, Sie machen den Anfang.«
    Honey Chandler nickte ihm zu und stand auf. Sie schritt zum Rednerpult, das zwischen den Tischen der Kläger- und Beklagtenseite stand. Richter Keyes hatte zuvor strikte Richtlinien festgelegt. In seinem Gerichtssaal gab es kein Herumlaufen, kein Herantreten an den Zeugenstand oder an die Jurybank. Alles, was von den Rechtsanwälten laut gesagt wurde, war vom Rednerpult aus zu tun. Chandler wußte, wie strikt der Richter seine Regeln befolgt haben wollte, und bat daher ausdrücklich, das Rednerpult etwas zur Seite drehen zu dürfen, damit sie die Jury beim Sprechen ansehen konnte. Der Richter gab ihr mit strenger Miene die Erlaubnis.
    »Guten Tag«, begann sie. »Der Richter hat recht, wenn er Ihnen sagt, daß diese Erklärung nichts mehr als eine Straßenkarte ist.«
    Ausgezeichnete Strategie, dachte Bosch vom zynischen Standpunkt aus, mit dem er den ganzen Fall verfolgte. Schmier dem Richter mit dem ersten Satz Honig ums Maul. Er beobachtete, wie sie ihre Notizen auf dem gelben Block konsultierte. Über dem obersten Knopf ihrer Bluse war eine Spange mit einem schwarzen Onyx angebracht. Der Stein war flach und wirkte tot – wie das Auge eines Hais. Sie hatte ihr Haar hinten in einem einfachen strengen Knoten zusammengebunden. Eine Strähne hatte sich jedoch gelöst und verlieh ihr das Image einer Frau, die nicht mit ihrem Aussehen beschäftigt ist, sondern sich ganz auf die Paragraphen, auf den Fall, auf die himmelschreiende Vergewaltigung von Recht und Gesetz durch den Beklagten konzentriert. Bosch glaubte, daß sie wahrscheinlich die Haarsträhne absichtlich herausgezogen hatte.
    Während er sie anschaute, erinnerte sich Bosch an das mulmige Gefühl im Bauch, als er gehört hatte, daß sie die Anwältin von Churchs Frau war. Dieser Umstand war für ihn viel beunruhigender als die Leitung des Prozesses durch Richter Keyes. Sie war erschreckend erfolgreich. Sie hatte nicht ohne Grund den Vornamen Money.
    »Ich möchte mit Ihnen ein Stück des Weges gehen«, sagte sie, und Bosch fragte sich, ob sie im Begriff war, sich einen Südstaatenakzent zuzulegen, »und kurz erklären, worum es in diesem Fall geht und was die Beweisstücke aussagen werden. Es geht in diesem Fall um Bürgerrechte, um den tragischen und durch die Polizei verschuldeten Tod von Norman

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